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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Während meiner Kindheit im Urwald haben wir Menschen in unvorstellbar schlimmer körperlicher Verfassung gesehen, mit Infektionen, die sogar schon die Knochen angegriffen hatten. Ein Mann hatte derart geschwollene Hoden, dass er nicht mehr laufen konnte. Es gab Kinder, deren Körper mit riesigen Beulen übersät waren. Aus Rücksichtnahme hat Papa sie nie fotografiert.
    Wenige Tage zuvor hatte ich einen Fayu-Jungen kennen gelernt, der eine so schlimme Augeninfektion hatte, dass ihm der Eiter wie Tränen herauslief. Ab und zu wischte er sich mit seinem T-Shirt übers Gesicht und hielt sich immer nur im Schatten auf, da ihm das Sonnenlicht in den Augen brannte. Ich war entsetzt über seinen Zustand, nahm sein T-Shirt, warf es ins Feuer und gab ihm eines von meinen, zusammen mit einem frischen Taschentuch. Nachdem ich ihm die Augen mit Salzwasser ausgewaschen hatte, um die Verkrustungen zu entfernen, bekam er Antibiotika. Binnen kürzester Zeit klang die Infektion ab, doch leider verließ seine Familie das Dorf, bevor ich ihm die zweite Dosis Medikamente verabreichen konnte. Obwohl ich sehr deutlich gemacht hatte, wie wichtig es wäre, die Behandlung bis zum Ende fortzusetzen, achteten sie nicht weiter darauf. Schließlich ging es nur um Körperliches. Sie machten sich auf den Rückweg in ihr Stammesgebiet.
    Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der den emotionalen Bedürfnissen jedes Menschen viel Beachtung geschenkt wurde. Danach bin ich in eine Welt gelangt, in der die Menschen zwar keine Kriege mit Waffengewalt mehr führten, in der jedoch ein Psychokrieg im Gange war. Der Weg, bis ich gelernt hatte, mein Seelenleben zu verteidigen, war lang und schwer. Ich musste erfahren, dass die Leute einem hemmungslos ins Gesicht lügen können, dass viele Menschen um einen herum zwar wie Freunde erscheinen, jedoch nicht zögern würden, einem in den Rücken zu fallen und einen zu betrügen.
    All das hat Spuren hinterlassen, zahlreiche emotionale Wunden, die nie richtig verheilt sind. Doch hier, zurück in den Armen derer, die mich als Kind schon einmal aufgenommen hatten, fielen sämtliche Mauern in sich zusammen. Von neuem war ich in einem Hafen – dem Hafen, den ich vor fünfzehn Jahren verlassen hatte. Und ich war glücklich.

[home]
17 Verlorene Unschuld
    A lles in Ordnung mit dir?«, ertönt eine vertraute Stimme an der Tür.
    Mit großer Erleichterung erkenne ich Mama, die ins Zimmer tritt. Die umherhuschenden Schatten draußen haben sie ebenfalls geweckt, und nun geht sie durchs Haus, um sich zu vergewissern, dass alle wohlauf sind. Ich krieche unter dem Bett hervor, lege mich wieder hin und ziehe mir die Decke über den Kopf.
    Plötzlich bekomme ich schreckliches Heimweh nach meinen Kindern, am liebsten würde ich sofort aufspringen und die nächste Maschine nach Europa nehmen. Mein Herz fühlt sich an, als würde es in Stücke gerissen. In jener Nacht weine ich um meine Kinder, um die Fayu und um die gesamte Nation West-Papua. Diesmal dauert es sehr lange, bis ich endlich einschlafe.
    Am nächsten Morgen wache ich gereizt auf. Der Kopf tut mir weh, und Halsschmerzen habe ich auch. Der Schlafmangel hat mir jede Energie geraubt. Ich stehe auf, ziehe mir etwas an und will mir eine Tasse Kaffee machen, in der Hoffnung, dass dadurch die Kopfschmerzen und das dumpfe Gefühl in meinem Hirn nachlassen. Ich spüre die Spannung, die in der Luft liegt, die Atmosphäre um mich herum wirkt bedrückt.
    Im Wohnzimmer sitzen mehrere Männer, die alle aufsehen, als ich hereinkomme. Ich begrüße sie und setze mich in eine Ecke des Raumes. Sie unterhalten sich weiter und scheinen meine Anwesenheit völlig zu vergessen, während sie Jon eine Begebenheit schildern.
     
    Nicht weit von Jayapura lebte ein Stamm von Eingeborenen. Ihr Häuptling, das war allgemein bekannt, war in der Unabhängigkeitsbewegung aktiv. Sein Volk liebte ihn sehr, doch die Regierung betrachtete ihn als eine Bedrohung. Eines Nachts rief der Häuptling seinen engsten Vertrauten zu sich, da er spürte, dass sein Leben in Gefahr war. Er berichtete dem Freund von seinem Verdacht und bat ihn, sich um seine Familie zu kümmern, sollte ihm etwas zustoßen.
    Aber erst das, was nun kam, ließ den Freund überrascht aufblicken. Der Häuptling senkte die Stimme und sagte, sollte er jemals das Schicksal zahlreicher anderer Papua teilen und spurlos verschwinden, so sollten sie jenseits der Grenze zu Papua-Neuguinea nach seinen sterblichen Überresten suchen. Er wollte

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