Ruf Des Dschungels
in meiner Ecke sitzen, während meine Gedanken sich überschlagen. Ist das etwa alles wahr? Welche Beweise werde ich vorzeigen können? Dann wieder: Warum sollten sie sich diese Geschichten ausdenken? Viele der Zeugen sind einfache Menschen. Und wie sollte es sonst möglich sein, dass Zeugen Hunderte Kilometer von hier entfernt ähnliche Geschichten erzählen?
Ich merke, wie meine Lider schwer werden, der Schlafmangel holt mich wieder ein, während die Hitze des Tages langsam ins Haus kriecht. Meine Gedanken kehren immer wieder zu der Geschichte mit den Skeletten zurück. Ist auch sie wirklich wahr, oder handelt es sich doch nur um ein Gerücht? Vielleicht war es ja ein alter Friedhof, und ein paar Schweine, die ja bekanntlich gern den Erdboden umgraben, haben die Knochen zutage gefördert? Doch irgendwie sagt mir mein Gefühl, dass an der Sache mehr dran ist, als ich glauben möchte. Sollte es sich hier tatsächlich um ein Massengrab handeln, in das man die Leichen all der verschwundenen Menschen geworfen hat?
Ich gehe in mein Zimmer und lege mich aufs Bett, dankbar, dass es im Haus so ruhig ist. Außer mir und Mama ist niemand mehr da, und sie hält gerade ihren Mittagsschlaf. Müde und nervös falle ich bald in einen leichten Schlaf. Dass ich bei meiner Rückkehr hierher gleich auf so etwas stoßen würde, daran hätte ich im Traum nicht gedacht.
Am späten Nachmittag wache ich wieder auf. Die Sonne brennt auf das Hausdach nieder, und kein noch so leichter Wind sorgt für Linderung. Mama ist schon aufgestanden und kocht mir Kaffee. Ich setze mich an den Tisch und esse ein bisschen geräucherten Fisch mit Reis. In Papua gibt es keine festen Essenszeiten. Vielmehr steht die ganze Zeit etwas zu essen auf dem Tisch, abgedeckt mit einem Korb. Nur der Reis wird den ganzen Tag über warm gehalten. Wann immer man also Hunger hat, geht man hin und nimmt sich etwas.
Wenige Stunden später, die Dämmerung liegt bereits über der Insel, stehe ich an der Eingangstür, als Jon um die Ecke biegt. Ein Blick in sein Gesicht, und ich weiß sofort, dass etwas gehörig schief gelaufen sein muss. Ohne ein Wort eilt er ins Haus, sieht nach, ob jemand da ist, geht wieder nach draußen und kehrt kurz darauf mit zwei jungen Einheimischen zurück.
Mein Herz schlägt schneller, als ich die beiden erkenne. Es sind die Anführer der Studentenbewegung, die sich wochenlang im Dschungel versteckt gehalten haben. Ihre Namen stehen seit Jahren für die Schlagkraft der papuanischen Studenten. Ich freue mich, sie kennen zu lernen, obwohl ich genau weiß, dass wir ein ernsthaftes Problem haben werden, wenn man uns genau jetzt aufspürt.
Auf die beiden Männer ist ein Kopfgeld von 50 Millionen Rupien ausgesetzt, mehr, als die meisten Menschen hier pro Jahr verdienen. Sie werden von Polizei und Militär mit offiziellem Haftbefehl gejagt, weil sie angeblich für die Gewalt bei den jüngsten Demonstrationen verantwortlich waren. In jener Nacht erfahre ich allerdings auch, warum die Sicherheitsbehörden die beiden jungen Männer gerade jetzt so intensiv suchen: Jon erzählt mir, sie hätten das Boot verpasst, das sie von der Insel bringen sollte, und jetzt wüssten sie nicht, was sie tun sollten. Wochenlang waren sie auf der Flucht, und der Kreis schloss sich immer enger um sie, ihre Zeit war abgelaufen.
Wir müssen die beiden Studenten unbedingt außer Landes in Sicherheit bringen. Denn hatten wir nicht geschworen, unseren Brüdern zu helfen und uns gegenseitig zu beschützen, selbst unter Lebensgefahr? Und schnell müssen wir sein, da wir alle in großer Gefahr schweben.
»Jon«, entgegne ich daher. »Jetzt mal ganz langsam. Sag mir, was passiert ist.«
Er beginnt zu erzählen, wie sie die beiden Studenten aus dem Dschungel geholt haben, indem sie Späher vorausschickten, die schauen sollten, ob die Luft rein war. Mit dem Auto fuhren sie eine vorher festgelegte Route am Waldrand entlang. Sie bremsten ab und ließen den Wagen ganz langsam weiterrollen. Plötzlich kamen aus dem Unterholz zwei wild aussehende, völlig verdreckte und in Lumpen gekleidete Studenten, die durch die offene Autotür zu ihnen hineinsprangen und sich unter den Sitzen versteckten. Im ganzen Land hängen Fahndungsplakate von ihnen, die Gefahr, erkannt zu werden, war groß. Daher fuhren sie zunächst zum Haus eines Eingeweihten, bei dem die beiden sich waschen und umziehen konnten.
Danach brachten sie die beiden zum Hafen hinunter, wo sie mit dem Boot zu einem anderen
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