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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Lektüre stellte Edwin immer wieder Fragen, und je mehr wir darüber sprachen, desto mehr schien er sich für meine Version des Hergangs der Ereignisse zu erwärmen.
    «Du musst mir verzeihen, dass ich noch meine Zweifel habe», sagte er, als wir eine Essenspause mit Brot, Käse und eingemachtem Fleisch einlegten. «Da ist so vieles, das mir nicht einmal in den Sinn gekommen ist. Aber nehmen wir an, dass du recht hast und dass Magnus all die Tode zu verantworten hat, auch den von Mrs   Bryant. Wie ist er hier ein und aus gegangen? Es muss einen geheimen Zugang zur Galerie geben. Das ist der Kern all des Teufelswerks, das hier geschah. Das Schlupfloch, das Raphael entdeckt hat, könnte der Eingang dazu sein.»
    Nach unserer kleinen Mahlzeit blieb uns noch eine Stunde – der Nebel war deutlich dichter geworden   –, und so kehrten wir in die Galerie zurück, wo Edwin einen Zinnkasten, der in dem Alkoven nahe der Rüstung stand, durchstöberte.
    «Ich bat Raphael, uns das hierzulassen, für den Notfall   … Er verschwieg uns, dass er einen zweiten Blitz mitgebracht hatte», sagte Edwin. Er hielt zwei gräuliche Zylinder hoch, an deren Enden etwas, das wie in Teer getauchte Stücke Schnur aussah, befestigt war. Er entfernte sie vorsichtig, nahm einen Holzhammer heraus und begann, das Versteck zu untersuchen. Trotz der Kälte sah ich ihm zu, wie er das Mauerwerk abklopfte und abtastete. Das Echo war furchtbar laut. Die stechenden Blicke früherer Generationen der Wraxfords, die Gesichter verwaschen vom Schmutz der Jahrhunderte, waren aus der Höhe auf uns gerichtet; durch die Fenster oberhalb der Porträts fiel graues, diffuses Licht.
    «Das Wesentliche an diesen Zufluchtsorten», sagte Edwin, «ist, dass sie direkten Angriffen standhalten sollten. Es gibt Berichte, dass Mauern halb zerstört wurden, während der Flüchtling, einen Fuß von der Spitzhacke entfernt, nicht entdeckt wurde. Mit Gewalt zerstört man nur den Mechanismus; es geht darum, die richtige Stelle zu finden.»
    Die Mauern schienen aus geschlossenen Reihen von Ziegelsteinen zu bestehen, ich konnte nirgends eine mögliche Öffnung sehen.
    «Wie kommst du darauf, dass du hier etwas finden könntest?», fragte ich.
    «Zunächst der Sarg. Warum sollte man einen Sarkophag in einem Kamin aufstellen?»
    «Weil es nicht wirklich ein Sarg ist?»
    «Das könnte sein, wobei ich nicht so sehr das im Sinn hatte. Die Vorhängeschlösser wurden seit Jahrzehnten nicht angerührt, sie sind vollkommen eingerostet. Nein, weil so sichergestellt ist, dass niemand ein offenes Feuer entfachen wird. Und das bedeutet, dass im Kamin etwas ist, das es zu schützen gilt.»
    In der Ausübung seines Könnens war Edwin wie verwandelt: selbstsicher und überzeugt, wie er nie zuvor gewirkt hatte. Er benutzte den Holzhammer und eine kurze Stange ausMetall und testete damit Ziegelstein nach Ziegelstein. Ich wünschte, ich könnte etwas tun, anstatt nur schaudernd dazustehen, zuzusehen und zu versuchen, das Gefühl abzuschütteln, dass wir beobachtet wurden. Obwohl er nicht kräftig zuschlug, hallte jeder Schlag des Holzhammers wie ein Kanonendonner wider, und manchmal war mir, als hörte ich Schritte unter dem Echo. Auch das Licht schien deutlich schwächer zu werden, obgleich es erst drei Uhr war.
    «Heureka!», schrie Edwin. Er hatte sich bis zum Fuß der inneren Mauer vorgearbeitet und kniete auf dem Boden. Als ich hinsah, nahm er einen Ziegel heraus, griff in den Hohlraum (was ich bestimmt nicht hätte tun wollen) und zog nach kurzem Ringen einen Holzstock, etwa von der Größe einer Kerze, heraus.
    «Das ist merkwürdig», sagte er. «Das ist ein Sicherungsstift zum Schließen, der eigentlich nur an seinem Platz ist, wenn jemand drin ist. Ich musste den Mörtel abschlagen, verstehst du?»
    Ich verstand nicht wirklich, aber ich hörte ein leichtes Unbehagen in seiner Stimme.
    «Du glaubst doch nicht   –», begann ich.
    «Natürlich nicht.»
    Er griff an den Rand der eben geschaffenen Öffnung. Mit rasselndem Knirschen schwang ein Stück der Ziegelmauer wie eine kleine schmale Tür auf. Eine Staubwolke drang in die Galerie und legte sich um uns.
    «Nein», sagte er hustend. «Hier ist bestimmt niemand drin – zumindest niemand Lebendiges.» Er zündete seine Laterne an, sodass ich durch den schwebenden Staub eine schmale Wendeltreppe aus Ziegelsteinen sah, die sich in die Dunkelheit nach oben wand.
    «Weißt du   –» Er wurde von einem Geräusch von der Bibliothek her

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