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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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der Kerzenflammen war zu einem kleinen blauen Glimmen zusammengeschrumpft.
    «Wie alt war Ihr Onkel, als Felix starb?», fragte ich.
    «Etwa elf. Er war ein Jahr älter als Felix. Er sagte, dass Thomas Wraxford, als er nach dem Tod seines Sohnes fortging, einen Bericht über jene Ereignisse zurückgelassen habe, aber ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen.»
    «Wie starb er genau? – Ihrem Onkel zufolge?», fragte ich.
    «Eine der Bediensteten polierte gerade das Geländer der Haupttreppe, als das Gewitter losbrach. Sie sah den Jungen aus der Galerie rennen und über den Treppenabsatz rasen, als wäre der Teufel hinter ihm her. Er rannte mit solcher Wucht in das Geländer, dass es nachgab. Er brach sich bei dem Fall das Genick.»
    «Was kann ihn denn so sehr erschreckt haben?»
    «Das hat mein Onkel nicht erzählt. Er lässt immer wieder mal diese Bruchstücke fallen, zu irgendwelchen unmöglichen Zeitpunkten, aber er antwortet nie auf eine direkte Frage. Möglicherweise das Gewitter selbst – wenn denn die Geschichte stimmt. Es war immerhin Thomas Wraxford, wie Sie sich erinnern werden, der die Blitzableiter anbringen ließ, und seine Angst könnte sich auf den Sohn übertragen haben.»
    «Und – das Spuken?»
    «Sarah, das Dienstmädchen, behauptet, zwei Mal schnelle Schritte in der Galerie gehört zu haben, als sie im Esszimmer einen Stock tiefer war, beide Male gefolgt von einem Donnerschlag. Aber diese Geschichte mit den Schritten wurde von der vorigen Dienstbotengeneration übernommen.»
    «Halten Sie   … es für möglich, dass Ihr Onkel zugegen war – ich meine auf Wraxford   –, als Felix Wraxford starb?»
    «Er hat davon nichts gesagt, aber ja, möglich ist es. Ich glaube, dass die Entfremdung zwischen Thomas und seinem Bruder Nathaniel   – Cornelius’ Vater – erst nach der Tragödie stattfand. Meinen Sie, mein Onkel könnte für den Tod seines Cousins verantwortlich sein?»
    So weit hatte ich nicht gehen wollen, aber er hatte meine Gedanken erraten.
    «Nein, das wollte ich nicht sagen   …»
    «Sie brauchen sich bestimmt nicht zu entschuldigen. Es hätte mir selbst in den Sinn kommen können, aber meine Gedanken nahmen eine andere Richtung. Ich kann mir meinen Onkel gut als Kind vorstellen, wie er sich etwas einfallen lässt, um seinen Cousin in Angst und Schrecken zu versetzen   …»
    Er verfiel in Schweigen und blickte ins erlöschende Feuer. Ich fand mich in die Vorstellung versunken, wie Cornelius als Junge, in schwarzer Kleidung und mit dem runzligen Gesicht eines Greises, hinter der Rüstung hockt. Draußen verdunkelt sich der Himmel. Ein anderer Junge, blass und ängstlich, geht durch die Galerie   … und dann ein Sprung, das Trappeln rennender Füße, ein Schrei, der in einem lauten Donnerschlag untergeht. Ich dachte an Cornelius, Jahrzehnte später, dessen Leben sich in derselben Galerie einsam dahinzog. Wenn es sich so zugetragen hatte, dann spukte es wirklich in der Galerie. Hatte Cornelius schon als Kind das Herrenhaus begehrt und erkannt, dass Felix ihm diesen Besitz unmöglich machen würde?
    Magnus unterbrach meine Träumerei, als er sich vorbeugte und das Feuer erneut anfachte.
    «Sie sagten, Ihre Gedanken seien in eine andere Richtung gegangen?», fragte ich vorsichtig.
    «Ich fragte mich – und auch das hätte mir früher in den Sinn kommen können   –, ob mein Onkel das Manuskript entgegen seiner Behauptung nicht gekauft, sondern irgendwo im Haus gefunden hatte   … Ich fragte mich also, ob schon Thomas Wraxford Trithemius gekannt hatte   …»
    Eine beängstigende Vorahnung beschlich mich.
    «Wie lauteten die Worte, die Sie abgeschrieben haben?», fragte ich. «Über den jungen und den alten Baum?»
    Magnus holte das Papier hervor.
    «…   dann sey er ein warer mester, der den
ritus
zu thun wejzs,von welchem ich an andrer stelle geschriben. Denn wie ein junger
baum
veredelt einen
alten,
so   …»
    Ich konnte meine eigene Befürchtung in seinem Blick lesen.
    «Unmöglich», sagte ich, «dass ein Mann seinen eigenen Sohn opfern würde   –», und noch während ich sprach, realisierte ich, dass Abraham genau das hatte tun wollen.
    «Gewiss nicht», sagte Magnus. «Es steht tausend zu eins, dass der Junge durch einen tragischen Unfall starb.» Aber er klang alles andere als überzeugt.
    «Und dass Thomas Wraxford nicht mehr auffindbar war?», fragte ich weiter. «Was sagen Sie dazu angesichts des Verschwindens, von dem Ihr Onkel sprach?»
    «Ich verstehe, in

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