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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Aber meine Gedanken wurden unterbrochen von einer Windböe, die ein Blitz begleitete, einem ohrenbetäubenden Donnerschlag und einem Sturzregen. Ich war klatschnass, noch ehe ich mich von meinem Stuhl hatte erheben können.
    Ich war noch lange wach, nachdem das Gewitter aufgehört und sich der Wind gelegt hatte. Ich lauschte dem gleichmäßigen Prasseln des Regens auf den Blättern. Was immer ich hätte tun müssen, es war nun zu spät. Es sei denn, Wraxford wäre verschont geblieben, aber dann brauchte ich nur auf das nächste Gewitter zu warten. Oder sollte ich versuchen, Magnus dazu zu überreden, seinem Onkel die Vormundschaft zu entziehen? Und wenn das scheitern sollte, sollte ich Cornelius zuverstehen geben, dass wir wussten, was er vorhatte? Wobei wir es ja nicht wirklich wussten. Gewiss war nur, dass Magnus bei einem jeden solchen Eingreifen das Anwesen verlieren würde und ich meinen Klienten, wenn nicht gar meine fachliche Reputation. Bis in die frühen Morgenstunden ging ich diese Punkte wieder und wieder durch, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
    Dennoch war ich am nächsten Tag früh im Büro. Den Großteil des Tages verbrachte ich damit, in meinem Zimmer auf und ab zu gehen, ich starrte auf die regennasse Straße hinaus und quälte Joshia mit Fragen nach Telegrammen und Boten. Mein schlechtes Gewissen verbot es mir, den Namen Wraxford zu erwähnen, und als ich mich auf den Weg zu einem hastigen Mittagessen im Cross Keys Inn machte, war er sichtlich um meine geistige Gesundheit besorgt. Aber auch bei meiner Rückkehr erwartete mich keine Nachricht. Doch dann, um halb drei, als ich mich gerade davon überzeugt hatte, dass wohl nichts passiert war, meldete Joshia, dass Mr   Drayton mich in einer eiligen Angelegenheit zu sprechen wünsche.
    Ich hatte mir Drayton als einen großen Mann vorgestellt, doch er erwies sich als um etliche Zentimeter kleiner als ich, schmal und gebeugt in einem Anzug von ausgewaschenem Schwarz. Er hatte ein langes fahles Gesicht und die Augen eines ängstlichen Spaniels. Seine Hände zitterten sichtlich.
    «Mr   Montague, Sir. Verzeihen Sie, dass ich Sie belästige, aber Doktor Wraxford – also Mr   Magnus – hatte mir gesagt, dass ich mich an Sie wenden solle, falls   … Es geht um den Herrn, Mr   Montague. Er kam heute Morgen zum Frühstück nicht aus seinem Zimmer, auch nicht zum Mittagessen, und er antwortet nicht, wenn ich klopfe, und so dachte ich   …»
    «Ganz recht», sagte ich. «Haben Sie Doktor Wraxford informiert?»
    «Auf meinem Weg hierher habe ich ihm ein Telegramm geschickt, Sir, aber die Antwort kommt über Woodbridge. Siewird nicht vor sechs Uhr abends auf Wraxford eintreffen, selbst wenn er sofort antworten sollte.»
    «Ich verstehe   … Ich nehme an, Sie möchten, dass ich mitkomme, um zu sehen, ob – ob alles in Ordnung ist.» Ich versuchte, ruhig und sicher zu klingen, aber in meinem Magen formte sich ein eisiger Klumpen.
    «Vielen Dank, Sir, wenn Sie könnten, ich würde es sehr zu schätzen wissen. Grimes wartet draußen mit der Kutsche, Sir. Es ist leider ein offener Wagen, sodass Sie sich warm anziehen müssen.»
    Zehn Minuten später waren wir auf dem Weg. Der Regen hatte noch lange nicht aufgehört, graue, schnell dahinziehende Wolken hingen noch immer tief über der durchweichten Landschaft. Grimes – ein verdrießliches, grimmiges Individuum, nur zu treffend war der Name – saß in seinen Paletot verkrochen. Er wackelte wie ein Mehlsack und schien in tiefen Schlaf versunken, noch ehe wir den ersten Meilenpfosten erreicht hatten. Drayton saß neben mir in der Mitte des uralten Gefährts. Zunächst versuchte ich, etwas aus ihm herauszubekommen. Vergeblich: Er hatte nichts gesehen, nichts gehört, nichts Ungewöhnliches bemerkt bis zu diesem Morgen. Der Herr hatte ihn am Vorabend um sieben Uhr fortgeschickt – lange bevor das Unwetter begann – mit der Bemerkung, dass er bis zum Frühstück am nächsten Morgen nichts mehr brauche. Das Gewitter war sehr laut. Er war den ganzen Abend in seinem Zimmer gewesen und konnte nicht sagen, ob ein Blitz das Herrenhaus getroffen habe. Er legte nicht die geringste Neugier darüber an den Tag. Ich fragte ihn, ob die Blitzableiter für ihn eine Beruhigung darstellen. Er schien nicht zu wissen, was ein Blitzableiter ist. Er war seit vierzig Jahren auf Wraxford, und seither hatte es nicht die geringste Veränderung gegeben, vom Tag seiner Ankunft bis zu diesem Morgen. An diesem Punkt gab ich es auf und

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