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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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welche Richtung Sie denken», sagte Magnus, «aber ohne weitere Beweise können wir nur spekulieren. Was meinen Onkel angeht   … es gibt derzeit jedenfalls keine Kinder auf Wraxford. Abgesehen davon haben Sie wohl leider recht: Wir können das Ganze nur beobachten und warten. Und nun, mein lieber Freund, darf ich Sie nicht länger aufhalten. Es ist spät geworden.»
    Ich versuchte ihn zum Bleiben zu überreden, er bestand jedoch darauf, gehen zu müssen. Er ließ sich schließlich von mir zum White Lion zurückbegleiten. Der Himmel war klar und die Luft in der windstillen Nacht sehr kalt, nur das Geräusch der Kiesel war zu hören, die in den Wellen an der sternenbeschienen Küste hin- und hergeworfen wurden, irgendwo in der Ferne zu unserer Linken. Magnus brachte auf dem Weg das Gespräch auf die Malerei zurück und sagte, er hoffe, dass ich eines Tages eine weitere Studie von Wraxford Hall machen könne, dann unter glücklicheren Umständen. Aber das Entsetzliche, das wir heraufbeschworen hatten, ließ sich so leicht nicht zerstreuen, und meine Träume waren in dieser Nacht erfüllt von trappelnden Schritten und einem Knirps mit runzligem Gesicht.
     
    ∗∗∗
     
    Noch etwa zwei Wochen lang packte mich immer ein ungutes Gefühl, sobald der Himmel sich verdunkelte oder das Barometer weiter als gewöhnlich fiel. Ich erhielt einen kurzen Brief von Magnus, nach seiner Rückkehr nach London, in dem er mir schrieb, wie sehr er sich freue, meine Bekanntschaft gemacht zu haben, und mir abermals für mein Angebot dankte, nach Wraxford hinauszufahren, falls es notwendig werden sollte. Mehr schrieb er nicht. Wir waren wie enge Freunde auseinandergegangen. Erst im Rückblick realisierte ich, dass ich nichts von seiner Lebensgeschichte wusste, nichts von seinen Interessen, von seinen Zielen und Hoffnungen außerhalb seiner Arbeit. Ich hingegen hatte ihm ziemlich viel von mir anvertraut. Unser Treffen hatte eine Unruhe in mir ausgelöst, und ich wusste nicht, was ich mit ihr tun sollte.
     
    Der April war kalt und stürmisch; erst spät im Mai hatten wir für einige Zeit gutes Wetter, das die letzte Blüte hervorbrachte. Tag für Tag ging ich bei strahlend blauem Himmel zur Kanzlei, in der Hoffnung, dass meine Stimmung sich entsprechend heben würde. Ich dachte oft und lange darüber nach, die Juristerei aufzugeben und mein Glück als Maler zu versuchen, aber mir fehlte der Glaube an mich. «Wraxford Hall im Mondschein» hing nach wie vor an der Wand meines Büros und erinnerte mich an die Kraft, die ich nicht wiederfinden konnte, und an Cornelius in seiner unheimlichen Galerie. Etliche Male machte ich mich auf den Weg zum Mönchswald, aber etwas hielt mich dann doch immer zurück. Es wurde immer wärmer, bis zu einem Morgen, an dem es so heiß war, dass die Luft zu stehen schien: Der Himmel war bedeckt, das Meer war spiegelglatt und von einem unheilverkündenden, bleiernen Glanz überzogen. Meine Angst wuchs, sodass ich am frühen Nachmittag Magnus ein Telegramm schickte, dass sich ein schweres Gewitter zusammenbraue. Das Schreiben blieb ohne Antwort. Und ich machte mir den Rest des Tages Vorwürfe, dass ich es gesandt hatte.
    Den ganzen Nachmittag drückte die Hitze, und das Barometer fiel immer weiter, bis es dunkel wurde, nach wie vor ohne einen Windhauch. Ich war zu unruhig zum Lesen, saß im Garten und starrte in die Nacht. Dann sah ich das erste Aufflackern eines Blitzes am Horizont über dem Meer, es verzweigte und vervielfältigte sich in ein stummes Lichtspiel, bis die Luft sich zu bewegen begann. Über das Sirren der Insekten erhob sich ein fernes Donnergrollen. Das Herannahen des Gewitters, zuerst langsam, schien an Geschwindigkeit zuzunehmen, bis der Himmel im Süden einem lichtdurchzuckten Gobelin glich. Trithemius’ Worte kamen mir in diesem Aufruhr wieder in den Sinn: «Wenn da sey ein man, welcher wuzste zu lenken die kraft des
blitzes,
gleich dem rechenden Engel am Tag des Jüngsten Gerichts   …» Ich dachte an die geschwärzte Rüstung in der Galerie: Wenn Cornelius verrückt genug war, sie anzulegen, musste er bereits zu Asche geworden sein. Nur ein Wahnsinniger konnte in so etwas einwilligen, gleich, welche Versprechen man ihm machte   … Aber angenommen, nach einer Zustimmung war nicht gefragt, eine Einwilligung war nicht erteilt worden? Wenn es einen Toten gibt, dachte ich, so habe ich ihn auf dem Gewissen. Wir hätten ihn aufhalten müssen, ohne Rücksicht auf Magnus’ Erbschaftsaussichten.

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