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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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bereust du diese Narretei?»
    «Nein, Mama   –»
    «Dann
bist
du entschlossen, uns zu ruinieren. Diesen – diesen Ravenscroft, wo hast du ihn getroffen?»
    «In Orford, Mama. Er malte   –»
    «Das Malen ist mir gleich. Ich möchte nur wissen, wie Mr   Woodward diese erbärmliche Liaison zulassen konnte. Er hat seine Pflicht schmählich vernachlässigt, und ich werde das dem Bischof schreiben   –»
    «Mama, das ist höchst   –»
    «
Unterbrich mich nicht.
Ich möchte wissen, wo und bei welcher Gelegenheit du diesem Halunken erlaubt hast, dich zu verführen.»
    «Edward ist kein Halunke, Mama, und er hat mich nicht verführt. Er ist ein anständiger Gentleman   –»
    «Du meintest doch, er sei ein Künstler.»
    «Ja, Mama, ein ausgezeichneter   –»
    «Ganz ausgezeichnet, wirklich! Natürlich ist er ein Halunke, wenn er ein williges, selbstsüchtiges Mädchen, das verrücktspielt, ausnutzt. Das ist moralisch krank, genau wie Doktor Stevenson es ausdrückte. Ich hätte dich einsperren sollen, ehe du uns entehrst. Also, hör mir zu. Es wird natürlich keine Verlobung geben. Ich verbiete dir jeglichen weiteren Kontakt mit Ravenscroft ebenso wie die Rückkehr in Mr   Woodwards Haus. Doktor Stevenson wird dich morgen untersuchen, und dann werden wir sehen, was zu tun ist. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?»
    Bislang hatte ich dagesessen, unfähig, mich zu bewegen, festgenagelt von ihrem wütenden Blick. Meine Zunge schien am Gaumen zu kleben; die Worte, die ich zu sagen versuchte, waren nur unverständliche Laute.
    «Sophie ist nicht zu Hause», sagte meine Mutter als Antwort auf was immer sie dachte, das ich gesagt hatte. «Sie möchte dich nicht sehen, ehe du deine Verderbtheit bereust. Als sie deinen Brief las, sagte sie: ‹Ich dachte nicht, dass eine Schwester so grausam sein könnte.›»
    «Das ist unfair!», schrie ich auf. «Sophies Glück liegt mir am Herzen. Fürchtest du, Mama, dass die Carstairs die Verlobung lösen werden, wenn sie hören, dass ich mit Edward verlobt bin?»
    «Fürchte? Fürchte! Bist du verrückt Eleanor? Bei der leisesten Andeutung, dass meine älteste Tochter vorhat, sich an einen brotlosen Halunken zu verschenken, werden sie natürlich einen Rückzieher machen.»
    «Und wann wird Sophie heiraten, Mama?»
    «Die Hochzeit ist für November geplant.»
    «Nun gut», sagte ich und nahm all meinen Mut zusammen. «Dann werden Edward und ich unsere Verlobung nicht bekanntgeben, bis Sophie verheiratet ist.» Als ich das sagte, fielmir ein, dass ich Mr   Montague und Doktor Wraxford bereits davon erzählt hatte.
    «Was fällt dir ein, mit mir zu handeln? Hast du mich verstanden? Du wirst diesen Ravenscroft unter keinen Umständen heiraten.»
    «Mama, du vergisst, dass ich volljährig bin und dass ich heiraten darf, wen ich möchte.»
    Meine Mutter schien vor Wut beinahe zu platzen.
    «Wenn du mir nicht gehorchst», zischte sie, «werde ich dir keinen Unterhalt mehr zahlen. Und ich zweifele daran, dass Mr   Woodward dich noch einmal empfangen wird, wenn ihm sein Lebensunterhalt lieb ist.»
    «Wenn du das tust, Mama», sagte ich, nach Atem ringend, «dann werden Edward und ich unsere Verlobung umgehend bekanntgeben. Und was wird dann aus Sophies Vermählung?»
    Sie stand auf, die Augen weit aufgerissen. Ich dachte, sie würde sich auf mich stürzen wie ein wildes Tier, und sprang so heftig auf, dass ich den Stuhl beinahe umwarf. Hätte sie einen Dolch in der Hand gehabt, da war ich mir sicher, hätte sie mich auf dem Teppich zur letzten Ruhe gebettet. Doch als wir einander Auge in Auge gegenüberstanden, stellte ich erstmals fest, dass ich größer war als meine Mutter.
    «Lass uns zu einer Übereinkunft kommen», sagte ich mit einer Stimme, die ich kaum als meine eigene erkannte. «Edward und ich werden unsere Verlobung nicht öffentlich machen, ehe Sophie verheiratet ist. Dafür wirst du mir weiterhin meinen Unterhalt gewähren, bis
ich
verheiratet bin, und wirst versprechen, dem Bischof nicht zu schreiben. Bist du einverstanden?»
    Sie starrte mich einige Sekunden lang sprachlos an, während ich mich auf einen weiteren Angriff gefasst machte. Aber dann sprach sie stattdessen mit eisiger Verachtung, betonte dabei jedes Wort, indem sie ihm eine Pause folgen ließ, und riss mit jeder Pause meinen Brief in immer kleinere Fetzen. Die Schnipsel ließ sie vor meine Füße fallen.
    «Ich sehe, Eleanor, dass dir nicht mehr zu helfen ist. Nun gut: Wir werden den Carstairs sagen,

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