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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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du seist krank und wärest zur Erholung auf dem Land. Bei Sophies Hochzeit wirst du natürlich nicht zugegen sein. Dein Unterhalt wird mit dem Tag ihrer Heirat eingestellt werden. Dein restliches Hab und Gut werde ich an Mr   Woodward schicken. Von nun an habe ich nur noch eine Tochter. Nein – kein Wort mehr. Du kannst jetzt dieses Haus verlassen – zurückkehren wirst du nicht mehr.»
    Sie ließ die letzten Papierschnipsel fallen, drehte sich zur Tür, und während sie sie öffnete, klingelte sie nach dem Dienstmädchen.
    «Unser Gast verlässt uns», hörte ich sie sagen. «Sie können sie zur Tür bringen.» Ihre Schritte verschwanden den Korridor entlang und die Treppe hinauf.
    «Wären Sie so freundlich, mir einen Wagen zu rufen?», sagte ich, als das Mädchen erschien. «Ich bin etwas schwach und brauche einen Augenblick   …»
    Sie nahm die Münze, die ich ihr hinhielt, blickte ängstlich zur Decke und ging.
Ich muss weg hier,
sagte ich zu mir selbst und ging unsicher zur Tür und durch die Diele bis zur Wohnzimmertür. Dort musste ich stehen bleiben und griff nach dem Türrahmen, um mich festzuhalten. Die Tür stand offen, wie an jenem schrecklichen Nachmittag des Besuchs der Carstairs. Da war das Sofa, auf dem Mama und Sophie gesessen hatten, dort, gegenüber, hatte meine Mutter mich gebeten Platz zu nehmen. Ich sah, als wäre es gestern gewesen, den schlanken jungen Mann in seinem dunklen Traueranzug und realisierte voller Entsetzen, wo ich Edward Ravenscroft zum ersten Mal gesehen hatte.
     
    ∗∗∗
     
    Ich weiß nicht mehr, wie ich das Haus verließ. Das Dienstmädchen muss mir in den Wagen geholfen haben, aber da ist nur ein schwarzes Loch in meiner Erinnerung, bis ich mich durch die Straßen von Shoreditch holpern sah. Die Zugfahrt erlebte ich in völliger Benommenheit, unfähig zu jeglichem Gedanken, und erst als ich Ada an der Tür des Pfarrhauses sah, brachen die Emotionen des Tages über mich herein. Das Gespräch mit meiner Mutter war mehr als genug, um meine Verzweiflung zu erklären. Es Ada noch einmal zu erzählen führte wenigstens dazu, die Erinnerung an das Erlebte auf einen kalten Klumpen im Magen schrumpfen zu lassen. Aber als ich nachts allein in meinem Zimmer war, wo das Bett wie ein Wagen zu schaukeln schien und das Klappern und Rattern der Zugfahrt mir in den Ohren nachklang, konnte ich dem Bild des jungen Mannes auf dem Sofa nicht entkommen.
    Oberflächlich waren die beiden ziemlich verschieden: Edward hatte langes und ungeordnetes Haar, während das des jungen Mannes kurz geschnitten und fein säuberlich gekämmt war. Er hatte ein glattes und blasses Gesicht, während Edwards von Wind und Sonne rau war. Der junge Mann hatte sehr aufrecht und still gesessen, die Hände auf den Knien, Edward hingegen saß zwanglos. Aber ihre Gesichter waren die gleichen, sie waren gleich groß und hatten die gleiche Figur. Man brauchte sich nur vorzustellen, dass der eine Jura studierte, der andere der Kunst nachging, um zu sehen, dass der junge Mann Edwards Zwillingsbruder sein konnte. Wie mir die Ähnlichkeit hatte entgehen können, wusste ich nun nicht mehr zu sagen, ein schützender Instinkt musste meine Erinnerung zunichtegemacht haben.
    Wenn ein junger Mann von genau dieser Beschreibung sterben sollte   …
Natürlich würde Edward nicht sterben, sagte ich mir verzweifelt. Es ist nur ein Zufall. Ich bin von dem Streit mit Mama überreizt; ich habe die Ähnlichkeit übertrieben. Aber die Angst ließ mich nicht aus ihrer Gewalt. Würde ich jemals inder Lage sein, Edward anzusehen, ohne das Gesicht der Erscheinung in seinem zu sehen? Oder ohne zu fürchten, Edward selbst könne nicht der sein, der er zu sein schien? Wir wussten schließlich nichts von ihm. Er war förmlich der Erde entsprungen. Ich wusste nicht mit Gewissheit, ob die Adresse in Cumbria, die er mir gegeben hatte, wirklich die seines Vaters war   … noch nicht einmal, ob er einen Vater
hatte.
Absurd, absurd, sagte die Stimme der Vernunft: Es ist keine Hellseherei, sagte ich zu mir selbst, nur – was meinte Doktor Wraxford? – eine Hirnverletzung, die mit der Zeit von selbst heilt. Aber dieser Ausdruck spann sich von einem ängstlichen Gedanken zum nächsten – Hirnverletzung, Hirnverletzung   –, bis es zum Geräusch der ratternden Zugräder in einem Traum wurde, in dem ich wieder und wieder zur Rückkehr nach London gezwungen war.
    Hätte Ada mich rundheraus gefragt, ob mir noch etwas anderes auf der Seele läge,

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