Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
Fiese. Die Tür öffnetsich, und heraus tritt eine kurzhaarige Mittzwanzigerin. Aus meiner Wohnungstür! Eine Frau, die wirklich nicht mein Genre ist! Eine wenig augenfällige Erscheinung! Radikalfeministin! Sicher so eine Kampfhenne, die die Sprache verhunzt und überall -Innen hintendran macht: KinderInnen, InderInnen, MenschInnen. Was zum Teufel macht die in meiner Wohnung? Toupierte Hinterkopfbeule, links und rechts freche Fransen ins Gesicht gekämmt, lange Ohrringe, kurze Fingernägel, eckige Brille, Hängebäckchen, in denen sie wahrscheinlich Tofu schmuggelt.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt sie mit spröder Lesbenstimme und zeigt auf meinen Schlüssel, mit dem ich immer noch wie wild im Schloss rumfuhrwerke. Für meinen Geschmack fragt sie etwas zu aggressiv. Immerhin ist
sie
einfach in
mein
Apartment eingebrochen!
»Was machen Sie hier, Sie … Sie Frettchen!? Ich werde Sie …« Ich beginne, sie aus ihrem Kesser-Vater-Blazer zu schütteln und brülle. »Raus hier. Raus, sonst …«
Der Satz bleibt ein Fragment. Mein Blick ist grade auf das Fenster gefallen. Die Jalousien sind eitergelb, nicht weiß wie meine. Und auf dem Klingelschild steht Schörg-Oppowa. Irgendwoher kenne ich diesen selten dämlichen Namen! Ach du Scheiße! Die Mülldenunziation! Dann die Schicksalsfrage: Wo bin ich?
Die Kampflesbe löst sanft meine Hände von ihrem Revers, nahezu widerlich verständnisvoll. »Sachte sachte! Wohl im Stockwerk geirrt?«, fragt sie versöhnlich. Dann zischt sie einen Fluch und rennt schnell rein. Bei der Gelegenheit nehme ich wahr, dass ihre Frisur hinten so weitergeht wie vermutet. Jemand hat von Ohr zu Ohr am Hinterkopf eine Schablone angelegt, um drüber blond zu färben und drunter schwarz. Dieser Look scheint mirIndiz für die Broilerisierung der Gesellschaft zu sein. »Going black« = in Afrika zum Neger werden. »Going broiler« = in Ost-Berlin zum Ossi werden.
Schörg-Oppowa fuhrwerkt am Herd rum. Aus ihrer Küche stinkt es nach Tofuklopsen mit Basilikum, Schuhwichse und Betroffenheit. Al Bundy würde ihr jetzt an die Tür schmieren: Helft den Feministinnen! Auch haarige Weiber brauchen Liebe! Verdammt, ich wollte tatsächlich in eine wildfremde Wohnung rein! Ich werde Herpes kriegen! Ich stehe kurz vorm Zuckerschock! Warum tut sich in diesem Moment nicht der Boden auf? Warum sterbe ich nicht auf der Stelle und Schörg-Oppowa gleich mit?
»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen«, sage ich, will ich sagen, habe aber meine Stimme verschluckt. Die Speiseröhre ist zirka 25 Zentimeter lang. Sie ist dehnbar bis drei Zentimeter im Durchmesser. Aber das reicht nicht. Ich muss eine Weile würgen, im Clinch mit der Peristaltik, bis ich mich wieder verständlich machen kann. Dann drehe ich mich um und laufe weg.
»Ihr Schlüssel, Frau Kramer!«, ruft sie mir spöttisch nach und lässt mein Schlüsselbund lose an ihrem stumpfen Zeigefinger baumeln.
Sie kennt meinen Namen! Sie weiß alles! Sie verhöhnt mich! Sie lässt mich nach dem Schlüssel schnappen wie den Hund nach der Wurst!
Na klar! Sonnenklar! Ich war im Fünften ausgestiegen, dort, wo jemand zustieg! Deswegen hatte der Lift da gehalten! Ich war aus Versehen zu früh ausgestiegen! Schnell um die Ecke. Dorthin, wo mich keiner sieht, hocke ich mich mitten in den Hausflur und muss erstmal Luft holen. Mein Herz vibriert. Quatsch! Das kommt aus der Innentasche meines Mantels. Mein Handy! Eine Nachricht! Nur ein Wort, aber das lässt mich alle Schörg-Oppowasdieser Welt vergessen. Mit wackeligen Beinen gehe ich Richtung Treppe. Auf meinem Display steht in Großbuchstaben, schwarz auf grau, EUGÉNIE.
32. Platon, der Scheißkerl
Wie lange schafft man es, die Contenance zu wahren? Wie viele Engel können auf einer Nadelspitze tanzen? Warum bin ich so heiß auf Valmont wie der Junkie auf den Schuss? Mit zitternden Händen drücke ich den Kurzwahlknopf für Dietrichs Nummer. Er ist schnell dran. Leider hat er schon wieder seinen originellen Tag.
»Ich brech die Herzen der stolzesten Fraun! Hier spricht der zu Recht verstorbene Heinz Rühmann …«
»Und hier ist Gisela de Sade, du Blödkopp!«
»Dabistduja!«
»Stell dir vor«, sprudele ich los, »Valmont hat mir eine SMS geschickt!« Seine Begeisterung hält sich in Grenzen.
»Hm. Bei mir gibt’s auch Neuigkeiten. Ich habe Moni zum Geburtstag einen Wonderbra geschenkt.«
Ich setze mein Headset auf und fege ziellos in meiner Wohnung umher, mit der linken Hand das Handy umklammernd, auf
Weitere Kostenlose Bücher