Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
dem Stier von Picasso. Und Berlin. Und München. Und dem Rest der Welt. Die Schafe springen weiter. Meine Möse ist purpurrot und klaffend, die Klit kirschgroß. Sie zuckt träge wie eine kreißende Nacktschnecke, viermal, fünfmal, ich wälze mich wohlig in Spasmen, freue mich über meine warmen Füße und schlafe sofort ein.
34. Zug nach Irgendwo
»Mein Name ist Frau Schröder. Ich bin die Zugchefin.« Ich bewundere Frau Schröder für ihre klare Sicht der Dinge. Welch bemerkenswerter Hinweis! Alles drin! Geschlecht, Familienstand, Position! Bei mir klänge das irgendwie nicht so rund: Mein Name ist Frau Kramer. Ich sitze im Speisewagen wie ein verirrter Nachtfalter. Perfektes Make-up, das Kleid etwas zu schick für eine Zugfahrt nach München, der Blick schweift von Tisch zu Tisch, von Mann zu Mann. Bei jeder großen Nase stockt das Herz. Wo ist Valmont? Wer ist Valmont? Wer bin ich? Was mache ich überhaupt hier? In diesem Zug? Auf dieser Welt? Kopfschmerzen. Ich schlucke zwei Aspirin.
Der Kellner baut sich vor mir auf. Seine Nase ist nicht groß, aber porös. Er ist ziemlich böse drauf. Wäre ich auch, wenn ich so ein Gesicht hätte. Sein Blick sagt: Was willst du blöde Sau? Etwa was zu essen, du Schickse? Wer bin ich, dass ich dich bedienen muss? Seine Stimme sagt: »Was darf’s sein?« Ich frage, welche Whiskysorten er hat. Er leiert runter: Johnnie Walker Red Label, JackDaniel’s, Jim Beam … Ich bestelle ein Wasser und einen kleinen Salat.
Ein Handy klingelt. Melodie »Für Elise«. Mehrere Mitropa-Gäste klopfen synchron auf ihre Jackentaschen und wühlen in ihren Aktenmappen. Ein dicker Mann mit Dreitagebart und Sonnenbrille wird fündig. Augenpaare glotzen ihn an. »Dreiundzwanzigtausend«, sagt er. »Keine Mark weniger! Wir waren gestern mit’m Anwalt da, und wenn er bis morgen nich zahlt …« Eine dicke Frau vom Nebentisch schaltet sich ein: »… dann ist er fällig!« Einige lachen. »Überhaupt sollten Sie erhöhen auf vierzigtausend Mark«, ergänzt ein Opa und hüstelt. »Genau«, sagt die dicke Frau. Ihr Kopf dreht sich so halslos auf dem Rumpf wie der einer Eule. »Mit Zinsen!«
Der Mann mit dem Handy verfärbt sich dunkelrot. »Wo ich bin? Kurz vor Hamburg, Schatz.«
Wir sind aber kurz vor Fulda. BILD titelt: FRAUENRACHE: GEBISS VERSTECKT, WEIL ER DIE SCHEIDUNG WILL.
Braunschweig. Durchsage: »Die Weiterfahrt verzögert sich. Wir warten noch auf den Lokführer.« Der hat wahrscheinlich den Dünnpfiff von dem Fraß hier! Hinter mir sitzt eine Frau, die immer mit dem Textmarker in einem Buch hin und her schrubbt. Wusste gar nicht, wie viel Krach man mit einem einzelnen Stift machen kann. Zu viel für meine kostbaren Ohren! Hoffentlich ist das Drecksding bald alle! Wahrscheinlich gehört sie zu den Leuten, die Bücher verleihen, in denen einzelne Passagen unterstrichen sind, nach dem Motto: Das hier hat mich besonders beeindruckt. Und das hier! Und das hier! Einen Tisch weiter liest einer den
Spiegel
und lacht unvermittelt los. Das kann ich ja auch auf den Tod nicht ausstehen, von wegen: Das amüsiert mich aber jetzt. Dabin ich jetzt mal völlig enthemmt! Und euch Idioten sag ich nicht, warum!
Ich selbst lache beim Lesen auch oft laut auf, kümmere mich aber nicht um die Außenwirkung. Im Moment ist mir allerdings nicht zum Lachen. Ich stochere in meinem welken Salat herum. Er schmeckt fad und ruiniert mir den Lippenstift. Für den Alltag bin ich nicht gemacht. Ich starre auf mein Handy. Kein Netz. Ein Funkloch nach dem anderen! Was für ein Scheiß!
Der Zug hält quietschend. Fasziniert beobachte ich, wie mein Gegenüber, ein Mann mit Lodenjanker und Gamsbart am Hut, einen Kaugummi nach dem anderen isst und – ich schwör’s – runterschluckt!
»Da sich die Weiterfahrt aus innerbetrieblichen Gründen verzögert …«
Elendsquartier Deutsche Bahn. Ich bestelle einen halben Liter Wein, denn da liegt Wahrheit drin. Danach trinke ich noch einen halben Liter, denn auf einem Bein kann man nicht stehen.
»Aufgrund des erfolgten Personalwechsels hier in Fulda macht sich erneut eine Fahrscheinprüfung notwendig.« Erfolgter Personalwechsel. Macht sich notwendig.
Dann trinke ich Wodka, denn überm Tresen hängt ein Emailleschild mit: Trink Klares, sag Wahres. Zwei Doppelte. Effektiv und stilvoll. Ich trinke selten. Aber ich habe ein gutes Verhältnis zum Alkohol. Es ist nur eine Fettsäureverbindung, die die Menschen betrunken macht. Alkohol ist manchmal nötig, um die galoppierende
Weitere Kostenlose Bücher