Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
auf seine C & A-Hose und ziehe in Erwägung, die Kotztüte über seinen Kopf zu stülpen. Die Stewardess, die vorhin auf meinem Schoß saß, rubbelt fatalerweise an uns beiden rum – widerliche Synchronmassage! »Noch zehn Minuten bis zum Aufschlag!«, meldet der Pilot fröhlich. In der
Neuen Zürcher Zeitung
lese ich: »Explodiert ein Flugzeug in der Luft oder fällt es aus großer Höhe auf Wasser oder Land, sind die Kräfte, welche auf einen menschlichen Körper wirken, so groß, dass auch Airbags und Schultergurte nicht helfen.« Schultergurte! Unter mir Berlin. Wenn ich jetzt sterbe, dann sterbe ich glücklich. Wegen Valmont. Und weil’s Strähne auch erwischt! Die Stewardess warnt, es könnten »fiese Taschen und bösartige Koffer aus den Gepäckfächern fallen«. Nach der Landung gibt es Applaus, eine kollektive Gefühlsäußerung, die ich unter normalen Umständen mit einer Hass-Salve aus meiner Walther kommentieren würde. Aber die Umstände sind nicht normal. Heute klatsche ich mit, so großräumig, dass ich aus Versehen Strähne eins reinhaue. Er verschluckt seinen Stiftzahn, hält endlich das Maul und beschränkt sich aufs Röcheln.
Erster Griff am Boden: Handy an.
Am Gepäckband in Berlin-Tegel geht wieder mal nix. Warum warten überall auf der Welt Menschen auf Gepäck? Warum verdammt ist das nicht andersrum? Seit ich denken kann, wünsche ich mir, dass wenigstens ein Mal eine Leiche auf dem Band liegt. Nur ein Mal! Wie im Krimi. Einfach so, zwischen all dem Gepäck. Aber es kommt keine. Es kommt überhaupt nichts. Stundenlang. Mein Frontallappen funktioniert, ich ermahne mich erfolgreich zur Geduld und mache, als es endlich losgeht, das Welcher-Koffer-gehört-zu-wem-Spiel. Eine Frau mit polnischem Lippenstift-Farb-Geschmack und abgespreiztem kleinem Finger greift sich eine giftgrüne Nylontasche. Eine unförmige Wöchnerin, die ihrem Baby angewidert pappigen Brei ins Maul stopft, ist Eigentümerin einer ebenso unförmigen Kipling-Tasche, an deren Reißverschluss ein Affe namens Bobby oder Cliff oder Jimmy baumelt. Das pickelige Mädchen mit den Plateauschuhen zerrt einen genoppten schwarzen Gummirucksack vom Band. Strähne stürzt sich geschmackssicher auf seinen No-Name-Hartschalenkoffer. Eine ältliche Blondine mit grob pigmentierter solariumbrauner Haut passt zu ihrer MCM-Tasche wie Arsch auf Eimer. Nur bei der leicht tuberkulösen Langen mit naturblonden rumhängenden Spaghetti-Haaren habe ich mich vertan. Die hat so einen karierten Kindertrolly, und ich hatte auf den schwarzen Leder-Kleidersack getippt. Fünf Treffer, einmal verfehlt.
Jetzt erst erkenne ich die beiden Krimi-Assis aus dem Fernsehen. Die warten wohl auch vergeblich auf eine Leiche. Der Neger, aber nicht Charles M. Huber, sondern der neue, der Broiler mit dem schwierigen Doppelnamen, Assistent vom Alten. Er hat einen Aktenkoffer mit goldenem Zahlenschloss. Und der Nachfolger von Harry,der Assistent vom Nachfolger von Derrick, dessen Namen ich auch vergessen habe. Harry II hat einen Aktenkoffer mit silbernem Zahlenschloss. Mir fallen die Namen nicht ein. Das macht mich ganz krank. Wie heißen die nur? Den einen kenne ich aus
Marienhof
. Da hat er einen Schuldirektor gespielt, der bei der Stasi war. Er hat sich verliebt in diese Malerin, die so einen kleinen fiesen, zynischen Sohn hat. Aber wie heißt der bloß? Erstaunlicherweise kennen sich die beiden. Als ich meinen Samsonite vom Band ziehe, winken sie mir zu – so von Promi zu Promi halt. Siska! Genau! Der Nachfolger vom Derrick heißt Siska! Der Neger ruft: »Hallo, Iris! Terminhetze, was?« Und Harry II zwinkernd forsch: »Wir sehn uns dann beim Filmpreis!«
Ich gehe genau hinter Strähne durch die Glastür. Seine Frau wartet schon, lippenlos, roter Bürstenkopf, Krähenfüße, böser Blick. Strähne winkt, sie hebt mürrisch den Arm. Dicke Luft. Aber noch nicht dick genug, wie ich finde. Als ich ein langes blondes Haar an meinem Mantel finde, hänge ich es aus Gemeinheit dekorativ hinten an Strähnes Kragen.
36. Mein Biogut-Berater
Ich habe nichts zu verlieren außer meiner Beherrschung. Und meinem Handy. Zu meinem Handy habe ich ein nahezu erotisches Verhältnis entwickelt. Ich schalte es nur noch aus, wenn ich mit IHM zusammen bin. Oder, der Not gehorchend, im Flugzeug. Sonst steht die Leitung Tag und Nacht, ohne Ton, und ich starre ständig auf das Display. Manchmal spreche ich mit meinem Handy (»Los, Arschloch, mach, dass er eine SMS schickt«), manchmalstreichele
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