Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
ich es (wenn er eine SMS geschickt hat), manchmal schmiege ich mein Gesicht daran, vor allem nachts, wenn ich schlafe. Ich bade sozusagen ununterbrochen im Elektrosmog, was meinem ohnehin mangelhaften Gedächtnis nicht gerade zuträglich ist. »Jetzt, wo Gott geheiratet hat, wird sowieso alles anders«, sagt Dietrich bei jeder Gelegenheit, seit er die Meldung aus dem Flugzeug an meiner Kaminzimmerwand hängen sah. Und er hat recht. Es ist wirklich anders. Ich verdiene zwar immer noch eine Mörderkohle, schlafe immer noch bis in die Puppen, bade immer noch mittags, reiße immer noch BILD-Schlagzeilen raus, quäle immer noch Fred, gucke immer noch
Seinfeld
und wichse immer noch auf die Arte-Schafe. Aber damit fülle ich nur die Pausen zwischen Valmont.
Heute bringt Seinfeld ein neu erworbenes Jackett zurück. Aus Bosheit. Weil er den Verkäufer nicht mag. Der Manager sagt, Bosheit sei kein Rückgabegrund. Thema bei
Bärbel Schäfer
ist: »Hilfe, mein Freund trägt Feinripp-Unterhosen!«
Vormittags habe ich in einem Anfall von schlechtem Gewissen die Spracherkennungssoftware auf meinem Computer installiert und mache jetzt den ersten Diktiertest. Ich spreche laut und deutlich in das Mikrofon meines Headsets, das mit dem Computer gekoppelt ist: Diktat Anfang Ein Indianer geht aufs Klo Komma neue Zeile steckt den Finger in den Po Punkt neue Zeile Kriegt ihn nicht mehr raus Trennungsstrich neue Zeile und du bist raus Punkt Diktat Ende …
Wie von Zauberhand purzeln einzelne Buchstaben auf den leeren Bildschirm. Ich pruste los. Der Computer versteht nur Bahnhof:
Einig Ahne geh doch Floh,
steck drin Finger in Depot.
Krieg innig Kehraus-
Und du bist auf.
Da klingelt es an meiner Tür. Durch den Spion sehe ich ein feistes grinsendes Gesicht und die Mützenaufschrift: Reparaturen aller Art.
»Guten Tag! Schneider! Ich bin Ihr Biogut-Berater!«
»Kramer. Ich bin gemeingefährlich!«
»Aber Frau Kramer, es handelt sich wirklich nur um fünf Minuten!«
»Am besten, Sie scheren sich dahin, wo ich den Staubsaugervertreter und die Avon-Beraterin hingebeamt habe. Auf den Mond!«
»So öffnen Sie doch!«
»Wollen Sie etwa widerrechtlich in meine Wohnung eindringen?«
»Nein, aber …«
»Ich ziehe es vor, von meinem Hausrecht Gebrauch zu machen!«
»Aber ich komme von den Berliner Stadtreinigungsbetrieben.«
»Blödes Argument.«
»Ich habe Ihnen eine Broschüre für die neue Biotonne mitgebracht.«
»Noch ein blödes Argument.«
»Aber es geht um Mülltrennung …«
»Schnauze!«
»Der Rest vom Gemüse und die Obstschalen, der Kaffeefilter samt Satz …«
»Nimm das Zeug und steck’s dir in den Arsch.«
Manchmal ist Duzen auch schön. Der ungebetene Besuchinspiriert mich. Ich schnappe mir mein Headset und diktiere: Grins nicht Ausrufezeichen Biogut-Frettchen Ausrufezeichen neue Zeile wenn du dein dämliches Gesicht sehen könntest Ausrufezeichen neue Zeile wie gern ich es mit meinen Fingernägeln zerkratzen würde Komma neue Zeile du mit deiner fliehenden Stirn!
Der Computer schreibt:
Keynes nicht! Lebe gut für den!
Wenn du denn dem Schiedsgericht in, ganz doch auch!
Ich kann ich es mit mein Vater nie gezeigt wurde,
Ob mit einer Frieden stören!
Ich lasse mir die Texte von einer knarrenden elektronischen Männerstimme vorlesen und überlege, ob mir mein Computer damit etwas sagen will. Eine geheime Botschaft vielleicht, Psi und Akte X und so. Dann lege ich die CD auf, die Valmont – dramaturgisch geschickt – im Schlafwagen liegen ließ. Trauermusik.
37. Eros und Thanatos
Einen Trauermarsch höre ich besonders gern. Er ist untrennbar mit Valmonts Küssen verbunden, denn er lief im Schlafwagen. Pawlowscher Reflex.
Ich werde melancholisch, wenn ich ihn höre. Und ich höre ihn ununterbrochen, während
Bärbel Schäfer
nonverbal fast noch sympathischer wird. Thema heute: »Au pair – träge Schlaftrine oder ausgenutzte Putze?« Die Treme Brass Band spielt: »The Old Rugged Cross«. Den Booklet-Text dazu habe ich schon tausendmal gelesen:
Die Krönung! Der Orgasmus! Die Pforte zum Himmelreich! Eros! Und Thanatos! So erschütternd wie sexy. Ein Leichenzug durch die Gänge eines Bordells. Ein Requiem, zu dem sich strippen lässt. Existentieller und geiler geht’s nimmer.
Ich sehe wirklich Leichen strippen. Tote, Untote, wie in
Carnival of Souls
und
Night of the Living Dead
. Mit eckigen Bewegungen und leeren Gesichtern, die Augen in weite Ferne gerichtet, die Lippen blutleer.
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