Ruf mich bei Deinem Namen
Eltern.
»Wieso gehst du jetzt schwimmen?«, fragte sie.
»Weiß nicht. Mir ist gerade so. Willst du mitkommen?«
»Heute nicht. Ich muss neuerdings diese blöde Mütze aufsetzen, wenn ich nach draußen will. Ich seh aus wie ein mexikanischer Bandit.«
»Pancho Vimini. Was willst du machen, wenn ich schwimmen gehe?«
»Zugucken. Aber wenn du mir auf einen der Felsen hilfst, kann ich dort sitzen, die Füße im Wasser baumeln lassen und die Mütze aufbehalten.«
»Dann los.«
Man brauchte Vimini nie aufzufordern, einem die Hand zu geben, sie tat es ganz selbstverständlich, so wie Blinde einen automatisch am Ellbogen nehmen, um sich führen zu lassen.
»Nicht zu schnell«, bat sie.
Ich brachte sie über den Klippensteig zu ihrem Lieblingsstein und setzte mich neben sie. Dort hatte sie immer mit Oliver gesessen. »Ich bin unheimlich froh, dass ich wieder hier
bin«, sagte ich.
»War’s schön in Rom?«
Ich nickte.
»Du hast uns gefehlt.«
»Wem?«
»Mir. Marzia. Sie hat neulich nach dir gefragt.«
»So?«
»Ich hab ihr gesagt, wo du hingefahren bist.«
»So?«, wiederholte ich.
Vimini sah mich forschend an. »Ich glaube, sie weiß, dass du sie nicht sehr magst.«
Protest wäre sinnlos gewesen.
»Und?«, fragte ich.
»Nichts und. Aber sie hat mir leid getan. Ich hab gesagt, dass ihr in großer Eile abgereist seid.«
Vimini war sichtlich zufrieden mit ihrer List.
»Hat sie dir das abgenommen?«
»Ich glaube schon. Richtig gelogen war es ja auch nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Ihr habt euch nicht verabschiedet.«
»Stimmt. Es war nicht bös gemeint.«
»Bei dir fand ich es auch nicht schlimm, aber bei ihm schon.«
»Warum?«
»Warum, Elio? Nimm’s mir nicht übel, aber du bist wirklich ganz schön dumm.«
Es dauerte eine Weile, bis ich begriffen hatte.
»Vielleicht sehe ich ihn ja auch nie wieder«, sagte ich.
»Bei dir wäre es immerhin möglich. Aber bei mir?«
Mir wurde die Kehle eng. Ich ließ sie auf dem Felsen sitzen und ging langsam ins Wasser. Genau so hatte ich es vorausgesagt. Ich würde abends ins Wasser starren und einen
Sekundenbruchteil lang vergessen, dass er nicht mehr da war, dass es keinen Sinn hatte, sich umzudrehen, zum Balkon hochzusehen, wo sein Bild nie ganz verschwunden war. Dabei waren noch vor Stunden
sein Körper und mein Körper … Jetzt hatte er wahrscheinlich schon die zweite Mahlzeit im Flugzeug bekommen, die Maschine setzte zur Landung auf JFK an. Ich hatte seinen Kummer
gespürt, als er mich auf einer der Flughafentoiletten ein letztes Mal geküsst hatte, ich wusste, dass er, selbst wenn die Drinks und der Film ihn in der Maschine abgelenkt hatten, in
seinem Zimmer in New York wieder traurig sein würde, und es war mir schrecklich, mir das vorzustellen, so wie es ihm schrecklich sein würde sich vorzustellen, dass ich traurig in unserem
Zimmer liegen würde, das viel zu schnell wieder mein Zimmer geworden war.
Jemand näherte sich den Klippen. Um mich von meinem Kummer abzulenken, verfiel ich – ausgerechnet! – auf die Überlegung, dass Vimini und mich ebenso viele Jahre
trennten wie mich und Oliver. Sieben Jahre. In sieben Jahren, dachte ich – und plötzlich bekam ich kaum mehr Luft. Ich tauchte unter.
Nach dem Abendessen klingelte das Telefon. Oliver war wohlbehalten angekommen. Ja, New York. Ja, dasselbe Appartement, dieselben Leute, derselbe Lärm, vor dem Fenster dieselbe Musik,
leider, wollt ihr mal hören? Er hielt den Hörer aus dem Fenster und schickte eine Kostprobe der hispanischen Rhythmen New Yorks zu uns hinüber. Hundertvierzehnte Straße, sagte
er. Gehe jetzt gleich zu einem späten Lunch mit Freunden. Meine Mutter und mein Vater sprachen von getrennten Apparaten aus im Wohnzimmer mit ihm, ich war an dem Apparat in der Küche. Und
bei euch? Die üblichen Gäste zum Abendessen. Gerade gegangen. Ja, hier auch – sehr, sehr heiß. Hoffentlich war es produktiv, sagte mein Vater. Es? Das Wohnen bei uns. Das
Beste, was mir je passiert ist. Wenn ich könnte, würde ich mit der nächsten Maschine wieder zu euch düsen, wie ich gehe und stehe, Badehose zum Wechseln, Zahnbürste.
Gelächter. Mit offenen Armen, caro . Geplänkel hin und her. Du weißt, wie das bei uns üblich ist, sagte meine Mutter, du musst immer
wiederkommen, und wenn es nur für ein paar Tage ist. Und wenn es nur für ein paar Tage ist bedeutet normalerweise: Höchstens
für ein paar Tage – aber sie hatte gemeint, was sie gesagt hatte, und er
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