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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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Café umgebauten Garage ab. Seine Knie zittern noch ein bisschen, als er aussteigt. Er fühlt sich leicht. Er fühlt sich wie frisch gehäutet. Die Morgenluft streift ihn wie eine Offenbarung. Die Sonne kitzelt auf seiner Haut. Er fragt die Besitzerin des Garagen-Cafés, die gerade den Gehweg vor ihrem Laden schrubbt, in welcher Richtung es zum Meer gehe – und erfährt, dass das Meer noch immer fünfzehn Kilometer entfernt ist. Man kommt, so erfährt er, nur mit dem Taxi dorthin, aber ein Bekannter der Garagen-Café-Besitzerin, so erfährt er, ist Taxifahrer, und die Garagen-Café-Besitzerin wird ihm Bescheid sagen. Ob er nicht inzwischen frühstücken will?
    Alexander stimmt zu, und die Frau – die, trotz des indianischen Einschlags, irgendwie aussieht wie früher, vor der Wende, die Mütter vom Prenzlauer Berg, die in aller Frühe mit zwei Kindern auf dem Fahrrad durch den Berufsverkehr strampelten –, die Frau läuft flugs zum gegenüberliegenden Bäcker, um ihm eine paar frischgebackene Brötchen zu bringen.
    Gute Entscheidung. Er trinkt Kaffee. Er isst ein herrliches Marmeladenbrötchen. Er sieht die Risse im gegenüberliegenden Bordstein, sieht das Glitzern in dem gerade von der Garagen-Café-Besitzerin gescheuerten Gehweg. Er sieht einen Mann, der winkend einem Taxi hinterherrennt. Sieht einen anderen, der aussieht wie ein blauer Elefant. Er sieht die weiße, dazugehörige Elefantin. Ein Kind kommt ins Bild und bleibt stehen, und lächelt.
    Die Fahrt kostet fünfzig Pesos, das wird im Voraus abgemacht. Die Straße windet sich allmählich abwärts durch eine Landschaft, die so ausdruckslos ist, dass sie nur Vorfeld sein kann, für was auch immer.
    Die Ortschaft heißt Puerto Angel , wenn er richtig verstanden hat. Ein Ortsschild gibt es nicht. Links, schon in Sichtweite, der Strand. Rechts, vor einem Hang, ein paar unscheinbare, Wand an Wand stehende Häuser unter dem üblichen Kabelgewirr. Ein Gemüsegeschäft. Eine ferreteria . Eine offenbar gerade in der Renovierung befindliche Bankfiliale.
    Ohne dass Alexander darum gebeten hätte, empfiehlt ihm der Fahrer ein Hotel, genauer gesagt, eine Casa de húespedes , ein Gästehaus, und zwar mit einer Dringlichkeit, als bekomme er Prozente. Es heißt Eva & Tom . Alexander befürchtet, dass sich dahinter Deutsche verbergen, aber der Taxifahrer verneint energisch, und so steigt Alexander mit noch immer weichen Knien den steilen, irgendwann in eine Treppe übergehenden Pfad zu Eva & Tom hinauf.
    An einer Art Rezeption unter Palmenblättern empfängt ihn, nachdem jemand sie herbeigerufen hat, eine korpulente, nicht mehr junge Frau, die man wegen ihrer kupferfarbenen Bräune und ihres langen grauen, zu einem strengen Zopf zusammengebundenen Haars tatsächlich für eine Squaw halten möchte. Sie trägt Flip-Flops und ein verwaschenes Kleid, blättert unaufmerksam, beinahe widerwillig in einem großen Terminkalender und spricht Alexander dann übergangslos auf Deutsch an, allerdings in einem schweren süddeutschen, möglicherweise österreichischen Dialekt. Dann steigt sie mit ihm die aus groben Planken gezimmerte Freitreppe hoch, welche die verschiedenen Ebenen des Gästehauses verbindet.
    Die oberste Ebene befindet sich ganz auf dem Gipfel des Hügels. Hibiskusblüten und Palmen. Von der Terrasse aus sieht man hinab in eine von mächtigen Felsen umgebene Bucht, deren Blau ebenso irrsinnig ist wie das des Himmels darüber.
    Die Zimmer befinden sich in einem einstöckigen, gemauerten Trakt, der entschlossen, aber schludrig mit den typischen Frida-Kahlo-Farben (Rot-Blau-Grün) bemalt ist; und noch bevor ihm die österreichische Squaw das kleine, fensterlose Zimmer zeigt (das Licht kommt von oben: an einer Stelle sind die sichtbar auf den Sparren liegenden Dachziegel durch ein Stück gewelltes Plastik ersetzt), noch bevor sein Blick über die spärliche, nur aus Bett, Moskitonetz, Tisch und Truhe bestehende Ausstattung schweift, noch bevor er den Preis erfragt (es kostet fünfzig Pesos, fünf Dollar) – hat er sich in die Vorstellung verliebt, an heißen Nachmittagen in der unmittelbar vor seiner Zimmertür aufgespannten Hängematte zu liegen, im Schatten des Palmendaches und mit Blick auf das irrsinnige Blau des Pazifik.
    – Und schütteln S’ die Decken aus, sagt die österreichische Squaw: Es hat hier Skorpione.

1. OKTOBER 1989
    Eigentlich war es ein Katzensprung – aber Nadjeshda Iwanowna, die neben ihm ging, bewegte sich auf ihren kaputten Füßen so langsam,

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