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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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nicht mit Kurt, der immer vorneweg rannte. Auch hatte sie gar keine passenden Schuhe.
    – Soll ich Vera anrufen, fragte Kurt. Vielleicht kommt sie mit.
    – Ach sooo, sagte Irina, darum geht es!
    – Was? Worum geht es?
    – Hast du Sehnsucht nach Vera, ja?
    – Vera ist deine Freundin, sagte Kurt. Ich dachte, du langweilst dich mit mir allein.
    – Vera war nie meine Freundin, sagte Irina.
    – Wunderbar, sagte Kurt, dann gehen wir allein.
    Irina schob das Brot weg, zündete die Zigarette an.
    – Ira, was soll denn das jetzt.
    – Nichts, sagte Irina. Du kannst mit Vera spazieren gehen.
    – Ich will nicht mit Vera spazieren gehen, sagte Kurt.
    – Entschuldige, sagte Irina, eben hast du gesagt, du willst mit Vera spazieren gehen.
    Einige Augenblicke war es still. Dann krächzte eine Tür, und im Flur war das Schlurfen Nadjeshda Iwanownas zu hören, kam näher, stockte … Irina riss die Tür auf und reichte ihrer Mutter den Teller mit dem fertiggeschmierten Brot.
    – Hier, iss das, befahl sie.
    – Was ist das, fragte Nadjeshda Iwanowna, ohne den Teller anzunehmen.
    – Herrgott, das ist ein Brot! Mit Käse! Denkst du, ich will dich vergiften?
    – Ich vertrag keinen Käse, sagte Nadjeshda Iwanowna.
    Irina stand auf, ging in das Zimmer ihrer Mutter, knallte den Teller auf den Tisch.
    Erst als sie schon wieder im Wohnzimmer war, drang ihr der Geruch im Zimmer von Nadjeshda Iwanowna ins Bewusstsein – neben verschimmelnden Lebensmitteln und penetranten, wenngleich nutzlosen Fußsalben war es vor allem der alles übertönende, süßliche Muff des aus Russland mitgebrachten Mottenpulvers, das Nadjeshda Iwanowna in lebensfeindlicher Konzentration verwendete.
    Irina öffnete noch einmal die Zimmertür und schrie:
    – Und kannst du mal bitte lüften!
    Sie setzte sich, schlug die Hände vors Gesicht.
    – Willst du noch Kaffee, fragte Kurt.
    Irina nickte.
    – Entschuldige, sagte sie.
    Kurt goss ihr Kaffee ein, schmierte dann, sorgfältig die noch etwas zu harte Butter verteilend, ein Käsebrot, gerade so wie das, das sie eben in das Zimmer von Nadjeshda Iwanowna gebracht hatte, und reichte es ihr.
    – Iruschka, ich dachte, wir hätten das hinter uns.
    Ja, dachte Irina, ich dachte auch, das hätten wir hinter uns.
    Aber stattdessen sagte sie:
    – Höre, Kurtik, geh allein spazieren, ich hab wirklich noch viel zu tun.
    – Allein, sagte Kurt, allein geh ich jeden Tag.
    – Dann geh in den Garten, sagte Irina, und schneide die Rosen ab.
    – Die Rosen beschneiden? Kurt seufzte, und Irina fügte hinzu:
    – Ich bring dir nachher Kaffee raus und ein Brot mit Himbeermarmelade.
    Kurt nickte.
    – Imbärmarmeladde, wiederholte er.
    Denn in Wirklichkeit sagte Irina Imbärmarmeladde . Sie sagte Ihrsinn und Imbärmarmeladde und DäDäÄrre anstatt DDR. Seit dreißig Jahren sprach sie so, beharrlich ihren eigenen Dialekt entwickelnd, und seit dreißig Jahren neckte Kurt sie damit.
    – Was ist jetzt falsch, wollte Irina wissen.
    – Nichts, sagte Kurt, ohne die Miene zu verziehen. Und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: Die Marmeladde ist erst im Bär, dann kommt sie raus aus dem Bär, und dann bringst du sie mir in den Garten.
    – Ach du, sagte Irina.
    Schlug nach ihm, lachte aber.
    Kurt tat, als fliehe er vor ihrem Angriff, und ging in sein Zimmer, um sich die Pfeife zu holen. In diesem Augenblick klingelte wieder das Telefon.
    – Warte, ich geh ran, rief Kurt aus seinem Zimmer.
    Er kam eilig zurück und legte die Pfeife auf den Tisch. Ging zum Telefon, nahm den Hörer ab.
    – Ja, sagte Kurt.
    – Hallo, sagte Kurt, und an der Art, wie er «Hallo» sagte, erkannte Irina, dass es nicht seine Mutter war.
    – Nanu, sagte Kurt. Warum denn?
    Dann wurde Kurts Gesicht plötzlich grau.
    – Was ist denn, wollte Irina wissen.
    Aber Kurt hob nur die Hand, zum Zeichen, dass sie nicht stören solle. In den Hörer sagte er:
– Das ist doch nicht dein Ernst. Dann hörte er eine Weile zu, sagte mehrmals leise:
    – Ja … Ja … Ja …
    Dann schien das Gespräch abzureißen:
    – Hallo, sagte Kurt. Hallo?
    War es doch Charlotte? War irgendetwas passiert?
    Kurt kam langsam zurück zum Tisch, setzte sich.
    – Wer war das, fragte Irina.
    – Sascha, sagte Kurt.
    – Sascha?
    Kurt nickte.
    – Was ist denn, wo ist er?
    – In Gießen, sagte Kurt leise.
    Ihr Körper reagierte sofort – als wäre ihm ein Schlag versetzt worden, während ihr Kopf lange brauchte, um zu verstehen, was das bedeutete: Gießen.
    Lange sagte keiner von

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