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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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Möbel weiß anstrich, dass es aussah wie Krankenhaus.
    Jetzt kam Charlotte angerauscht, auch sie war ja älter als Nadjeshda Iwanowna, aber immer noch fix auf den Beinen, und eine Frisur wie ein junges Mädchen. Auch wenn das Gespräch zwischen Kurt und Charlotte auf Deutsch stattfand, begriff Nadjeshda Iwanowna, dass Charlotte nach Irina und Sascha fragte, und konnte an ihrem Gesicht ablesen, dass sie nicht glücklich war über das, was Kurt ihr mitteilte: nämlich, so vermutete Nadjeshda Iwanowna, dass Sascha in Amerika war. Immerhin nahm sie es mit Fassung, bloß Wilhelm sollte nichts erfahren, ni slowa Wilgelmu, wiederholte sie extra nochmal auf Russisch.
    – Verstehen Sie, Nadjeshda Iwanowna, er ist schon ganz und gar …
    Und dann machte sie eine schwer zu deutende Handbewegung. Was war mit Wilhelm? Ging es ihm nicht gut?
     
    Tatsächlich war Wilhelm mager geworden, seit Nadjeshda Iwanowna ihn das letzte Mal gesehen hatte, er verschwand fast in seinem riesigen Sessel. Sein Blick war dunkel und seine Stimme gebrochen, als er sie begrüßte.
    – Für dich, Väterchen, sagte Nadjeshda Iwanowna und überreichte das Gurkenglas.
    Wilhelms Blick hellte sich auf, er sah Nadjeshda Iwanowna an und sagte dann, mit Blick auf die Gurken:
    – Garoch!
    Aber es waren keine Erbsen.
    – Es sind Gurken, erklärte Nadjeshda Iwanowna: Ogurzy!
    – Garoch, sagte Wilhelm.
    – Ogurzy, sagte Nadjeshda Iwanowna.
    Aber Wilhelm, als wolle er ihr beweisen, dass doch Erbsen drin seien, ließ das Glas öffnen und angelte eine Gurke heraus. Und obwohl es nun wirklich eindeutig eine Gurke war, in die er hineinbiss, sagte er:
    – Garoch!
    Nadjeshda Iwanowna nickte – so stand es also um ihn. Hatte sich auf den Weg gemacht, der alte Wilhelm. Jetzt verstand sie das Dunkle in seinem Blick, sie hatte es schon gesehen, bei Todgeweihten.
    – Bogh s taboju, sagte Nadjeshda Iwanowna.
    Dann machte sie sich daran, die Gäste zu begrüßen. Sie kannte viele, wenn auch nicht mit Namen. Sie kannte den schweigsamen Mann mit den traurigen Augen, der Wilhelm das Gurkenglas aufgemacht hatte. Sie kannte auch seine Frau, eine blonde Person, die immer einen Kopf größer schien als ihr Mann – außer, wenn sie nebeneinanderstanden. Sie kannte auch die Gemüseverkäuferin aus dem Laden neben der Post, eine freundliche Frau, der sie zur Entnahme des zu zahlenden Geldbetrags bedenkenlos ihr Portemonnaie zu überlassen pflegte. Auch den Polizisten kannte sie und den Nachbarn, dessen Hand immer feucht war und der sie immer mit Da sdrawstwujet! begrüßte: Es lebe! – nur was eigentlich leben sollte, sagte er nie. Überhaupt waren alle freundlich, auch die, die sie nicht kannte, die Männer standen extra auf, schüttelten ihr die Hand und klopften ihr auf die Schulter, dass es schon peinlich war, nur der freundliche Herr im hellgrauen Anzug, der sich im letzten Jahr noch russisch mit ihr unterhalten hatte, sah sie an, als würde er sie nicht erkennen, seine Hand zitterte, und sein Gesicht war erstarrt, und er sah plötzlich aus wie Breshnew.
    Sie setzte sich ans Ende der langen Tafel, man schob ihr extra einen kleinen Sessel heran, in dem sie so tief versank, dass sie kaum an die Tischplatte reichte. Sie bekam Kaffee und Kuchen, Gott sei Dank war der Kaffee nicht stark, und der Kuchen war köstlich, sie verzehrte zwei Stück, den Teller auf den Knien balancierend, während die anderen Gäste sich wieder ihren Gesprächen zuwandten. Die Deutschen redeten viel, das war ja nichts Neues, alles Studierte, die hatten sich viel zu erzählen, für Nadjeshda Iwanowna war es nichts als der übliche Schwall schnarrender, kehliger Laute. Ja, natürlich hatte sie Deutsch lernen wollen, als sie nach Deutschland kam, jeden Tag hatte sie sich hingesetzt und die deutschen Buchstaben gepaukt, aber dann, als sie alle Buchstaben auswendig konnte, das ganze deutsche Alphabet , machte sie eine verblüffende Entdeckung: Deutsch konnte sie trotzdem nicht. – Und da hatte sie’s aufgegeben, sinnlos war’s, eine schwierige, eine rätselhafte Sprache, die Worte kratzen einem im Hals wie trocken Brot, Chuttentak – zur Begrüßung, und zum Abschied – Affidersin , oder umgekehrt, Affidersin, Chuttentak , so ein Aufwand, bloß um jemanden zu begrüßen.
    Der Mann mit den traurigen Augen schob Nadjeshda Iwanowna einen kleinen, grünen Metallbecher hin und erhob sein Glas.
    – Nadjeshda Iwanowna, sagte der Mann.
    – Da sdrwastwujet, rief der Feuchthändige und hob ebenfalls sein

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