Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
an und werde kommen, ich danke Ihnen aber, mein liebes Kind –‹ doch das thut nichts zur Sache –«
Aber die Geheimräthin wollte mehr, sie wollte alles wissen, was Adelheid nicht wiedersagen wollte. Vor einem Genius verstummen alle Rücksichten.
»Er fuhr mit der Hand über meine Stirn. Dabei sah er mich ungemein freundlich an. ›Sie sind ein wahrhaftes deutsches Mädchen!‹ Das kann ich wohl wiedersagen ohne zu erröthen, aber was er nachher sprach, wie er sich ein deutsches Mädchen, und wie er sein großes Vaterland sich denke und es liebe, ach da müsste ich ja selbst eine Dichterin sein. Ich dachte an Sie, Herr van Asten, wissen Sie noch, als Sie bei der Geschichte der alten Kaiser aus Schwaben in Feuer geriethen, es war wie ein großes Bild, das Sie in die Luft malten, und ich sah alles leuchten wie Flammen und Abendroth, wenn Sie mit Ihrem Finger Kreise durch die Luft zogen: Da beginnt die deutsche Glorie auf dem Berge Hohenstaufen, dann fuhren Sie mit dem Finger im Zickzack durch ganz Deutschland, jetzt nach Italien, nach Asien, ich sah deutlich den reißenden Fluß mit den schönen Bäumen, in dem der Kaiser Barbarossa ertrank, dann fuhren Sie hinüber nach Sicilien, Sie zeigten das Blutgerüst, auf dem der edle Konradin verblutete, und endlich wiesen Sie nach dem Berge in Thüringen, und schlossen: Das war Deutschland und da ruht seine Zukunft! Und was Jean Paul sprach von der Auferstehung der freien, großen Nation, der wir freudig entgegen leben sollten, uns vorbereitend in Tugend und Sitte und reinem Natursinn, da stand mir Ihr Bild wieder klar vor meiner Seele.«
»Daß es Ihnen nie untergehe,« sprach rasch der junge Mann. »Ich irrte mich nicht in ihm. Leben Sie wohl!«
»Auf Wiedersehen, heute Abend. Ich selbst will Sie ihm vorstellen.«
Der Lehrer sprach einige undeutliche Worte. Die Geheimräthin stotterte: »Herr van Asten sei wohl heute behindert, da er von ihrem Manne so lange aufgehalten worden.«
»Mama, haben Sie ihn nicht eingeladen?« fragte Adelheid verwundert, als sich die Thür schloß.
»In die Gesellschaft passt er doch nicht.«
»Mein Lehrer den Sie selbst so hoch schätzen?«
»Es ist nicht deswillen. Aber er ist zu unansehnlich.«
»Unansehnlich!«
»Jean Paul freut sich an schönen Gesichtszügen. Van Asten ist doch eigentlich hässlich.«
»Hässlich!« rief Adelheid mit Schaudern und schien sich zu besinnen. »Das ist mir nie eingefallen, daß van Asten hässlich sei. Daran habe ich überhaupt nie gedacht.«
»Was auch recht gut ist, liebes Kind,« entgegnete lächelnd die Geheimräthin. »Und überdem ist er nichts in der Gesellschaft.«
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Man muß gelten wollen.
Die Vorbereitungen zu dieser Gesellschaft schienen uns vorhin doch schon fertig; es musste indeß nicht so sein, wenn wir gegen Mittag eine Scene im Speisesaal der Geheimräthin belauschen.
In der Mitte am Tisch stand Adelheid vor einem Salatnapf, und neben ihr, mit prüfendem Blicke, jede ihrer Bewegungen beobachtend, die Geheimräthin. Um Adelheids Augen war eine Binde geknüpft. Sie übte sich, den Salat zu mischen, die Eier zu zerdrücken, Oel und Essig aufzugießen, ohne diese Ingredienzien zu sehen. Aber die Geheimräthin hatte Flaschen und Eierteller an einen bestimmten Ort gestellt, und wenn Adelheids Arm irrte, gab sie durch leise Töne ihr ein Zeichen. Einige Schüsseln zur Seite gesetzt, deuteten darauf, daß dieses Experiment schon mehrmals versucht war. Jetzt schien es zu gelingen. Der Salat kräuselte sich im Napf, doch verriethen Adelheids Bewegungen noch immer eine innere Aengstlichkeit, und wer unter die Binde hätte sehen können, würde eine Thräne in ihrem Auge entdeckt haben.
»Nur etwas ruhiger,« sagte die Wirthin, »und dann geht es vortrefflich.«
»Aber ich werde doch nicht mit der Binde zu Tische gehen,« entgegnete das junge Mädchen.
»Du wirst aber, wenn Du den Salat machst, gen Himmel, das heißt an die Decke blicken. Es wird sich irgend eine Gelegenheit finden, Dich aufzufordern, ein Gedicht, am besten eines von ihm, herzusagen, Du geräthst, von der Schönheit hingerissen, in Affekt, und blickst in die Wolken. Während Du recitirst, stellt der Bediente den Salatnapf vor Dich und flüstert Dir zu: Fräulein, der Salat! Du lässt Dich nicht stören und unterbrechen, greifst aber unwillkürlich nach Löffel und Gabel, und ohne einen Blick hinunter zu werfen, verrichtest Du mechanisch die Arbeit.«
»Aber die Liane aus dem Titan
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