Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
die Rede, aber vielleicht für mehr als Du jetzt schon bist, Du bist ein
enfant gaté
der Modewelt, alles, weil Du in einem Hause lebst, was Geltung hat. Ja, mein liebes Kind, wer unter den Menschen leben will, muß vor ihnen gelten wollen.«
Die Geheimräthin wühlte mit einem kalten Eisen in einem warmen Herzen. Es war nicht das erste Mal, es geschah auch nicht zufällig; sie meinte auch, nicht mit grausamer Absicht. Um fest zu werden für das Leben vor uns, muß man jeden Augenblick über das hinter uns klar sein, war ihr Argument.
Auch Adelheid wiederholte nur, was sie schon tausendmal gesagt, von dem Schutzengel, den sie gefunden, dem neuen Leben, welches sie in diesem Hause angefangen, wie sie sich jedesmal strafe, wenn sie dem Willen ihrer Retterin entgegen handelte, wie Alles hier zu ihrem Glücke ausschlage.
»Und doch wünschtest Du Dich schon fort!«
»Nicht doch! nicht doch!« Adelheid küßte mit Heftigkeit die Hand der Lupinus.
»Du bist unruhig. Hättest Du wieder beleidigende Aeußerungen gehört?«
»Im Gegentheil, liebe Mutter, das ist alles überwunden, selbst der schreckliche Gedanke, daß ich in die Zeitungen kommen musste, auch das ist nun vorüber. Als wir neulich durch die Nebel auf der Wiese fuhren, und die Sonne ging dann auf, und sie verdampften, bis alles, alles klar war, da fühlte ich mich wie aufgelebt. Das Gras, die Büsche und die Blumen sind doch nicht Schuld daran, dachte ich, daß der häßliche Nebel sie belegt.«
Der Geheimräthin prüfender Biick war noch derselbe: »Und Dir ist doch etwas! Du kamst so echauffirt zurück. Du kannst Dich nicht verstellen. Ist er Dir wieder begegnet?«
Adelheid nickte nur mit dem Kopf.
»Wo?«
»Als ich in den Thorweg zu Herrn Richter einbog, glaubte ich ihn um die andere Ecke kommen zu sehen, ich hoffte, er hätte mich nicht bemerkt. Und darum war es mir lieb, daß Herr Richter mich länger aufhielt. Aber als ich heraustrat, und wirklich, ich hatte ihn in dem Augenblick ganz vergessen über den herrlichen Mann, da –«
»Unterstand er sich, Dich auf offener Straße anzutreten!«
»Nein eigentlich nicht. Er stand am Eckhause, wo ich vorbei musste, mit gekreuzten Armen, wie ein Träumender.«
»Und als Du vorbei gingst?«
»Mama, ich glaube beinahe, ich hüpfte vorbei, so wohl war mir in dem Augenblick und ich sah ihn erst, und er gewiß mich auch, als ich beinahe an ihn stieß.«
»Und –«
»Ich weiß nicht, stieß ich einen Schrei aus, aber es war gewiß nicht laut, ich fuhr zurück –«
»Und er?«
»Vielleicht sagte er auch etwas. Das weiß ich nicht mehr. Aber der Blick, den er auf mich warf, verfolgte mich.«
»Unerhört! Ließest Du ihn nicht durch den Bedienten zurecht weisen? Er ist ja ein fürchterlicher Mensch.«
»Den armen kranken Johann, der sich nur so hinschleppt –«
»Du hättest den ersten besten Polizeimann oder Soldaten anrufen sollen.«
»Nein, theuerste Mutter, lassen Sie mich lieber nie mehr ausgehen ohne Ihre Begleitung. Ich bitte Sie recht dringend, inständigst darum. Ich hätte wohl den Muth, ihm Rede zu stehen, wie er verdient, aber –«
»Drei Mal hatte er ja wohl die Unverschämtheit, sich anmelden zu lassen, seit er aus dem Arrest ist?«
»Das dritte Mal gerade, als Sie zum Polizei-Präsidenten gefahren waren.«
»Da ist auch keine Abhülfe,« sagte die Geheimräthin kopfschüttelnd. »Der Präsident meinte, die paar Wochen, die man ihn wieder eingesperrt, seien das Aeußerste, was man thun könne. Denn von der Insulte gegen Dich ist nicht die Rede gewesen, nur weil er maskirt auf der Straße erschienen und mit der Wache seinen Spott trieb! Aber, mit uns treibt er täglich seinen Spott, sagte ich, er verfolgt im Theater, auf der Straße meine Pflegetochter, er dringt in mein Haus. Wer schützt uns? Der Herr Präsident hatten keine Antwort, als, er bedaure, daß wir keine Bastille hätten und keine
lettres de cachet
für Personen, die uns unbequem sind.«
Adelheid senkte die Augen: »Was that er uns auch eigentlich, was die Obrigkeit verbieten kann? Andre fixiren mich auch im Theater. Er wollte in unser Haus, aber bei hellem Tage, er klingelte und ließ sich ordentlich melden. Er schrieb einen Brief an mich, aber wir schickten ihn uneröffnet zurück. Wir können dem Richter nicht einmal angeben, was er will.«
»Sollen wir warten bis er eine Leiter anlegt, oder Nachts übers Dach einbricht?«
»Neulich, als Sie fortgefahren waren, hatte er mich durch das Flurfenster gesehen, und doch
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