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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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ist ja, wie Sie mir gestern vorlasen, wirklich in dem Augenblick blind, und der hässliche Minister, ihr Vater, zwingt sie nur zu der Komödie, damit die Gesellschaft glauben soll, seine Tochter könne noch sehen. Herr Richter und alle unsere Gäste wissen aber, daß ich sehen kann, warum soll ich denn nun eine Fertigkeit zeigen, von der jeder Mensch weiß, daß sie eine außerordentliche Abrichtung kostet? Die Gäste werden wahrscheinlich den Titan gelesen haben.«
    Adelheid hatte die Binde abgerissen.
    »Das setze ich sogar voraus,« sagte lächelnd die Lupinus. »Sie werden sogleich wissen, was es bedeutet. Ach eine Liane! wird es von Mund zu Munde gehen. Du liebst ja nicht die groben Komplimente, dies, hoffe ich, soll eines der feinsten sein, das ihm in Berlin begegnet.«
    Adelheid kam das Ganze mehr wie eine Beleidigung als wie ein Kompliment vor gegen den großen Mann.
    »Du kennst nicht die Welt und noch nicht die großen Männer,« seufzte die Geheimräthin. »Gerade wer übersättigt ist von Lob und Bewunderung, ist am empfänglichsten für die kleinen Aufmerksamkeiten. Kann man Jean Paul noch mehr mit Huldigungen überschütten, als es die Damenwelt hier gethan! Der Hausknecht schimpft schon, wo er wohnt, über die vielen verwelkten Blumen, die er täglich in die Müllgrube kehren muß, und glaubst Du, daß wir ihm eine Freude machten, wenn wir ihn wieder mit einem Blumenregen überschütteten? Er würde das hinnehmen als etwas, was sein muß, und denken: wenn Ihr nichts weiter könnt! Aber eine solche versteckte Anspielung muß ihm schmeicheln, eben weil er recht gut weiß, welche große Vorbereitungen es gekostet hat.«
    »Und warum muß ihm denn geschmeichelt werden?«
    »Weil er ein Mensch ist wie andere.«
    »Und warum muß man überhaupt schmeicheln?«
    »Weil wir leben wollen.«
    Adelheid sah sie groß an. Sie schien sagen zu wollen: ich schmeichle Niemand und lebe doch.
    »Weil Du jung und hübsch bist,« antwortete die Geheimräthtin auf den unausgesprochenen Gedanken, »darum ist man gegen Dich aufmerksam. Wenn Du nicht mehr jung und hübsch bist, wirst Du Dich schminken müssen. Es giebt mancherlei Schminke. Je älter man wird, mein liebes Kind, um so mehr Arbeit hat der Mensch, denn um so mehr muß man die Schwächen der Anderen studiren, um vor ihnen zu gelten.«
    »Warum muß man denn gelten wollen!« Es entfuhr ihren Lippen; sie wusste sich kaum den Sinn der Worte zu sagen und hätte sie gern wieder verschluckt, als die Pflegemutter sie anschielte.
    »Ja warum lebt man! Der Philosoph fehlt noch, der uns die Frage beantwortet.«
    Es entstand eine Pause. Die Salatnäpfe wurden vom Dienstmädchen fortgeschafft; die Geheimräthin brachte die Tafel wieder in Ordnung, putzte die Möbel und richtete oder vertauschte die Kupferstiche an der Wand. Adelheid war emsig über eine weibliche Arbeit gebeugt, es schien, um ihr Gesicht zu verbergen. Vielleicht hatte der scharfe Ton der Pflegemutter sie verwundet. Es klang davon noch etwas in der kurzen Frage wieder:
    »Kam das auch von Deinem Lehrer?«
    »Was, Mama?«
    »Daß man nicht soll gelten wollen! Herr van Asten ist ein Philosoph, der sich die Welt konstruirt, wie ein Dichter sie ansieht. Nicht wahr, hat er Dir nicht gesagt, jeder Mensch soll gar nicht scheinen wollen, sondern nur sein, was er ist? Das klingt hübsch, aber die Menschen sähen sehr häßlich aus, wenn sie nichts thäten, um sich zu verschönern. Davon, mein Kind, macht Keiner eine Ausnahme.«
    »Er selbst will gewiß nicht mehr scheinen als er ist –«
    »Sprich es nur aus, was Du verschluckst, Du meinst, er wäre sogar noch besser, als er scheinen will. Nicht wahr, denkst Du es nicht bisweilen, wenn er in einer begeisterten Rede plötzlich inne hält, als wolle er etwas nicht sagen aus Bescheidenheit, wenn er die Augen abwendet, rasch auf ein anderes Thema übergeht! – Und wenn er nun damit nichts wollte, als daß Du glauben solltest, er wäre und wisse noch weit mehr, als Du denkst?«
    Adelheid sah sie groß an: »Dann wäre er ja ein abscheulicher Mensch!«
    »Nicht schlimmer als Andere. Ja, er thäte gewissermaßen nur seine Pflicht. Ein Arzt, ein Prediger und Lehrer, wenn sie wirken wollen, müssen einen Glauben an ihre Vortrefflichkeit um sich verbreiten, damit ihre Patienten und Schüler an sie glauben.«
    »Er brauchte es gewiß nicht.« sagte Adelheid.
    »Da hast Du gewissermaßen wieder Recht. Er war ein guter Lateiner, wie mein Mann sagt, er hätte nur einen gewissen

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