Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
nun unterbleiben. Sie war, als der General ihr begegnete, eben auf dem Wege zum kranken Johann gewesen, um ihm Contreordres zu geben. Sie hatte aber auch vorhin den Befehl zum Serviren gegeben und in dem Augenblick brach die Gesellschaft, um zu Tisch zu gehen, auf. Es entwickelte sich heut Alles gegen ihren Willen. Jean Paul hatte ihr seinen Arm reichen sollen. Ihrer Zweifel, ob es nicht jetzt passender sei, diese Ehrenpflicht dem vornehmsten Gast zu übertragen, ward sie überhoben, als der Dichter schon ihre Tochter entführte. Sie musste, um nicht allein zu gehen, ihren Arm nothgedrungen Dem reichen, welcher allein ledig an der Thür stand, es war der Schwager, und sie musste zufrieden sein, daß es ihr wenigstens gelang, eine Tafelordnung so ziemlich herzustellen.
Wenigstens saß Jean Paul neben ihr. Wenn er von dem Fehlschlag seiner Hoffnungen verstimmt gewesen, hatte er unter so viel Theilnahme und beim Klang der Gläser es überwunden. Der gute Wein wirkt nach einer Aufregung doppelt. Er sprach oder sang in Worten die wie Streckverse klangen. Die Lüfte in den märkischen Pinien hätten ihm zugerauscht das alte Lied: Wo es Dir wohl geht, ist Dein Vaterland! aber da sei aus dem blauen Aether eine Taube niedergerauscht mit einem Lorbeerzweig und habe ihm zugeflüstert: Der Dichter muß frei sein! Und ein frischer Morgenwind habe seine Stirn, seine heiße Brust gekühlt, er sei erwacht und wieder arm, aber frei, frei wie der Vogel in der Luft, und dies Glas bringe er aus auf die Taube mit dem leuchtenden Fittich.
Nur ein Theil der Gesellschaft verstand es. Der Geheimrath von der Voigtei, der auch sein Glas gefüllt hatte und sich für verpflichtet hielt, als nächster Anverwandter der Wirthin, die Gesundheit des Gastes zu übernehmen, unterbrach den Dichter: die erste Gesundheit gebühre ihm selbst. In einer Rede, die, wenn auch sonst nichts, doch verrieth, daß er von dessen Schriften nichts gelesen, gratulirte er dem Poeten, der nun mit Piron sich die Grabschrift setzen könne:
Ci-gît Piron, qui ne fut rien.
Pas même académicien.
Aber wie Piron ein aimabler Poet geblieben, obgleich er sonst nichts gewesen, so werde auch ohne Präbende für sie Alle hier:
Unser herrlicher Jean Paul Friedrich Richter
Bleiben ein ihnen unvergeßlicher Dichter!
Im Gläserklang erhob sich der Gast: »Unser Auge blickt nach den blauen Bergen, und unser Herz schwillt vor Sehnsucht, weil der Himmel sie küsst. Aber oben weht es uns zu rein an, wir athmen zu bang in der Nähe des Unaussprechlichen, und die Thäler verschwimmen vor unsern Augen. So sehnt des Dichters Brust sich nach dem Schönsten und Höchsten, wie Semele nach Zeus' wahrhaftiger Gestalt. Aber in der Feuergluth zerspringt sein Herz, er kann nur leben im Thal, athmen im Duft der Kräuter, und die Berge über ihm, die Fußschemel des Unnennbaren, sind die Säulen der Ewigkeit, an denen sein Geist sich aufrankt. Wer einmal dort oben vom Lichte getrunken, habe genug fürs Leben. Nun möge man ihn beglückt zurückkehren lassen in die stillen Thäler seines Fichtelgebirges. Wenn seine Waldbäche über die bemoosten Steinblöcke rieselten, die Fichten säuselten, die Veilchen aus dem feuchten Grün dufteten, und wenn dann wieder an des Dichters Seele edle schöne Frauen vorüber schwebten, Lianen und Natalien, im Diadem des Morgenrothes, wenn ihre Füße im Thau sich badeten, ihre seelenvollen Augen das Blau des Aethers saugten, um Huld und Wohlwollen für tausend blutende Herzen widerzustrahlen, – dann kämen sie von den Bergen, die er einmal bestiegen, wo auch er Seligkeit getrunken. In seiner Eremitage nun kein Einsiedler mehr, umschwebten ihn Berlins edle Frauen, beim Frühroth böten sie aus der Krystallschale ihm den Morgentrank und wenn die Königin des Tages hinter die Berge sinke, sollte den Dichter einlullen die Harmonie ihrer Silberstimmen. Dies Glas leere er auf Berlins schönere Hälfte.«
Unter dem Gläserklang der Herren, unter den Verzückungen der Damen war Adelheid aufgestanden. Den Wink der Geheimräthin hatte sie nicht bemerkt. Ihre Augen gegen den Plafond gerichtet, tönte ihre metallreiche Stimme durch den Saal: »Aber die Sterne oben sind nicht stumm, sie tönen, im Festsaal des Ewigen kreisend, die Sphärensprache der Harmonie, und der Geweihte versteht sie. Der blasse Geweihte, der am Schmerzenslager überwindet, der Geweihte, dessen Stirn die Freude des Sieges röthet, und er der Geweihte, der der Aeolsharfe ihre
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