Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
durchdringenden Blicke: »Was soll das werden mit ihm, Johann?«
Er verstand es: »Um Gottes Erbarmen, gnädige Frau Geheimräthin, stürzen Sie mich nicht in mein Elend,«
Ihm war es, als bohrte ihr Blick in sein Herz, aber sie sprach kein Wort: »Morgen früh soll Hofrath Heim kommen.«
Er ging. Sie rief ihn zurück: »Nein, nicht Heim! Der ist zu nichts zu brauchen –« murmelte sie. »Selle, rufe er den Geheimrath Selle, ich lasse ihm meine dringende Empfehlung machen« – sie stockte und hub wieder an: »Nicht zu Selle, zum alten Geheimrath Mucius, ich ließe ihn dringend bitten.«
Johann war gegangen. Sie schellte wieder: »Es soll mich Niemand stören. Was auch vorfalle. Ich werde mich selbst ausziehen. Lisette soll mit den Andern die Sachen fortschaffen, aber sie soll sich nicht unterstehen Lärm zu machen. Ich will nichts mehr wissen, versteht Er mich.«
Johann ging. Sie rief ihn doch wieder zurück; »Morgen früh wird Niemand vorgelassen. Niemand.«
»Herr Jean Paul Richter fragten, wann er seine Aufwartung machen könne, um Abschied zu nehmen?«
»Ich bin nie, wenn er sich meldet, zu Hause.«
Sie stand noch eine Weile, nachdem der Bediente fort war, die Blicke auf die Diele geheftet. Ihr musste sehr heiß sein, sie schöpfte tief Athem, riß Tuch und Kleidungsstücke auf und warf sich auf das Sopha, den Kopf in den Arm gestützt.
Sie wollte nichts von dem Geräusch hören, und hörte doch alles, das Aufheben jedes Stuhls, das Klappern der Teller, so leise Mägde und Diener ihr Geschäft verrichteten. Sie gab sich Mühe, tue Tritte jedes Einzelnen zu erkennen, und indem sie sich darüber ärgerte, horchte sie nur immer schärfer. Sie haderte innerlich, diese Magd sollte einen Verweis erhalten, jene entlassen werden.
Was glühte in ihren Adern, was war die trockne Hitze, die ihr alle Spannkraft raubte, was die Unruhe, die jede Anwandlung von Schlaf verscheuchte? Ein verlorener Tag? Es war nur ein Tag unter vielen. Eine verlorene Schlacht in einem Kriege, in einem langen, trostlosen mit dem Leben. – Und von wem war sie geschlagen? – Von Allen. Heut, wo sie so sicher auf einen Sieg gerechnet! – Sie kannte die Gesellschaft, die bösen Zungen, Macht des Lächerlichen. Ihre Niederlage war eine auf lange Jahre hinaus. Sie hörte schon die Fragen mit spöttischem Lächeln: »Waren Sie auch bei dem Zauberfest der Geheimräthin?« Die ebenso lächelnden Antworten: »Sie hat es sich etwas kosten lassen. Recht schade, wozu das?« – »Sie hat einmal kein Geschick dazu.« – »Die Apotheose Jean Pauls war doch
au comble du ridicule.
« – »Und dazu das Unglück noch! Die arme Frau. Warum wird sie aber nicht klug!« Oder die bittersten: »Es ist ihr schon recht, daß sie mal die Lektion bekommen!«
Sie war unerschöpflich in der Selbstmarterung, sie vertheilte diese Sarkasmen und Bonmots, zu deren Zielscheibe sie sich selbst machte, unter ihre Bekannten, ihre besten Freunde. Und hatte sie es denn von ihnen anders erwartet? Sie lachte auf. Ach, das Lachen half nichts. Sie empfand einen ungeheuren Durst, aber nicht Wasser, nicht Wein konnte den stillen. Aber an wem diesen Durst kühlen? – Laforest, warum musste er das erste Zeichen zum Aufbruch geben, er, der nur gekommen schien, um Audienz zu geben, Huldigungen zu empfangen. Der General, der feige davon lief? Mochte er laufen. Jean Paul, der, erstickt von Eitelkeit, nur im Lobe sich berauscht, nur mit den jungen Mädchen getändelt, ohne ihr, die sie mit so raffinirter Sinnigkeit das ganze Fest für ihn bereitet, nur ein Wort des Dankes zu sagen, nur die gewöhnlichste Aufmerksamkeit zu erweisen. Alle, alle hatten sich nur um sich bekümmert, um andere Gestirne, sie war eine Einsiedlerin gewesen in ihrer Gesellschaft.
Die Dienerschaft draußen musste mit ihrer Verrichtung zu Ende sein. In der Stille hörte man nur noch vereinzeltes Thürenklappen und Hin- und Herlaufen. Sie lauschte aufmerksamer. Den Tritt kannte sie. Der Legationsrath war noch im Hause geblieben? Er kam grade auf ihre Thür zu. Endlich ein Mensch, ein Geist, der sich ihrer annehmen, mit dem sie ihre Gedanken austauschen könnte. Sie wollte die Thür aufreißen. – Nein, es war an ihm. Gleichviel, wollte er sich melden lassen, klopfen, eintreten. Er blieb stehen. Sie glaubte ihn gähnen zu hören. Er zog sich den Ueberrock an. Er sprach leise mit Lisetten. Es war von Tropfen und andern Hausmitteln die Rede, für eine Magd, die der Schreck niedergeworfen, von einem Thee, den sie
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