Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
zurückgehalten. Am Tische blätterte der Rath von Fuchsius in einer der aufliegenden Druckschriften, die er später in die Tasche steckte.
»Die Oesterreicher konzentrirten sich zwischen Ulm und Memmingen,« sagte er, durch eine Bemerkung im Gespräch der Beiden dazu aufgefordert. »Nach den letzten Nachrichten aber nicht in einer Stärke, um einen Angriff wagen zu können. Sie warten offenbar auf Kutusow und die Russen, die von der Donau her kommen sollen –«
»Wenn Napoleon ihnen Zeit lässt,« fiel Bovillard ein.
»Wenn wir Kutusow durch Schlesien lassen,« sagte der Minister.
»Das soll nun freilich jetzt nicht geschehen,« warf der Geheimrath hin.
»Buxhövden ist eben so unverrichteter Dinge abgereist wie vor ihm Duroc.«
»Wir nehmen wirklich die Miene einer respektablen Selbstständigkeit an,« bemerkte der Rath.
»Sie meinen, weil wir Alle vor den Kopf stoßen, und Keinen zum Freunde behalten.«
»Ei, Herr von Bovillard, von Ihnen das!« sagte der Minister. »Ist das jetzt auch Lombards Meinung? – Haugwitz war freilich beim L'hombre neulich ganz konsternirt. Aber er leidet am Magen.«
»Excellenz, ich muß gestehen, die Sachen wachsen mir über den Kopf. Eine Bewegung wie eine Völkerwanderung. Und wir so ganz allein in der Mitte!«
»Sollen wir darum auch wandern!«
»Napoleon lässt seine Truppen von Bologne und vom Rhein heranrücken. Marmont führt sein Korps von Mainz her, Wrede eins von der obern Donau, Davoust aus Schwaben. Das ist genug um die Oesterreicher zu erdrücken. Und nach Allem, was man aus Paris schreibt, genügt es ihm diesmal nicht, seinen Feind zu schlagen, er will ihn vernichten. Sie studirten vorhin die Karte, sind Sie nicht der Ansicht, Herr von Fuchsius?«
»Wenn die Russen nicht zu ihm stoßen, sei Mack geliefert, war Herrn von Eisenhauchs Meinung. Napoleon développirt Kräfte wie nirgend zuvor.«
»Kann er nicht,« warf der Minister ein.
»Wer hindert ihn?«
»Wir. Bernadotte steht mit Hunderttausend in Hannover. Lassen wir ihn nicht durch, so ist Bonaparte ohne ihn nicht stärker, als die Oestreicher.«
»Und wenn er nun doch stärker wäre!« rief Bovillard.
»So lasst sie sich die Köpfe zerschlagen. Wir haben Profit
tout clair.
«
»Wenn aber Napoleon unsere Neutralität nicht respektirt!«
»Lassen wir die Russen durch. Sie sind doch sonst ein so ruhiger Mann. Alteriren Sie die Vorwürfe, die man Herrn Lombard macht? Oder kümmert Sie Ihr Sohn? Das ist ja nun auch abgemacht.«
»Ich weiß nicht, Excellenz, es ist mir zuweilen wie in einer Gewitterluft.«
»Gehen Sie nach Karlsbad. Zwei Becher Sprudel täglich, nachher drei. Drei Wochen lang. Ist Alles vorbei, ist Alles nur Imagination.«
»Excellenz mögen recht haben,« sagte Bovillard, sich zum Gehen anschickend. »Nochmals meinen Dank, daß Sie sich meines
fils perdu
angenommen.«
»Nicht der Rede werth. Aber, wie gesagt, fort muß er, wenn er abgesessen hat. Leidet auch an Imaginationen. Die Reden, die er führt, sollen ja exekrabel sein.«
»Er hat sie nicht von mir.«
»
Assurément!
Aber eben darum. Ist für Sie selbst am besten.«
»Gewiß! aber wie?«
»Ihr Herr Sohn,« sagte Fuchsius benimmt sich diesmal weit gefasster im Gefängniß, »ja er hat selbst erklärt, es wäre ihm lieb, Berlin und Preußen auf immer zu verlassen.«
»Charmant!« sagte der Geheimrath. »Aber wohin? Wenn wir Kolonien hätten!«
»Wenn wir die hätten!« sagte der Minister und legte seufzend seine Hand auf Bovillards Schulter. »Dann wäre Vieles besser. Das waren die Herren von der Theorie unter den vorigen Königen! Gestehen Sie mir, Geheimrath, ist das ein kluger Staatsmann, der eine Domaine, weil sie nur tausend einbringt und er hoffte eine Million, der sie darum für 'nen Spottpreis fortgiebt! Brauchten wir unser Korn, Holz den Engländern zu verkaufen, uns von ihnen Preise machen lassen? Müssten wir noch von ihren Kolonialwaaren nehmen? Hätten wir Noth, wo unsre schlesische Leinwand lassen? Brauchten wir Rußland zu bitten, wie neulich, unsere inkorrigiblen Verbrecher nach Sibirien zu schaffen! Kolonien, Herr Geheimrath, und wir schafften unsre Verbrecher hin, unsre Rohprodukte, unsre Fabrikwaare, Ihren Herrn Sohn auch, wir machten allein die Preise, und die Kolonisten müssten kaufen und bezahlen. Wenn das wäre, könnten wir doppelt lachen über die Kalamitäten um uns her; wir können es aber auch so. Sie schlagen sich, plündern, brennen, verwüsten, und wir kultiviren unser Land, protegiren
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