Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Ueberfluß zu pressen, ein Feind, sage ich Dir, der alle unsere Schwächen kennt, und wir kennen sie nicht, und das ist das Schlimmste. Wir schaukeln uns im Uebermuth, wir schreien wie Kinder, die durch ein dunkel Zimmer müssen, um sich Muth zu machen, wir taumeln, wie Nachtwandler auf den Dächern, um, wenn man unsern Namen ruft, herabzustürzen. Das wissen wir , die Wenigen, die man schimpft und verlästert, mein Sohn, und darum ist unsere Politik, den Krieg vermeiden um jeden Preis.«
»Um jeden!« rief der Sohn. »Mein Vater, auch um den Preis Ihres eigenen Rufes, die Ehre des Namens, den Ihre Väter trugen. Bedenken Sie, er gehört Ihnen nicht allein. Mir ist's nicht gleichgültig, wenn sie mit dem Finger auf meinen Vater weisen, wenn einst in der Geschichte auch sein Name unter denen genannt wird –«
»Louis!« fiel der Geheimrath ihm ins Wort, »ich könnte Dir heut viel vergeben.«
»Nicht wenn ich gleichgültig bliebe zu meines Vaters Schmach. Auf die Gefahr hin Ihres letzten Zorns, ich will, muß reden! Kennen Sie das Urtheil des Publikums? Ganz verhallt so was nicht, ganz lässt es sich nicht übertäuben in Späßen und in Lustigkeit. In einsamen Stunden, wenn Sie Nachts aufwachen, die Wanduhr tickt, der Wurm im Holze bohrt, der Wind gegen die Fenster klappt, schreit es Ihnen da nicht zu, was man von Ihnen und Ihren Freunden flüstert, lächelt. – Nein, man spricht, man schreit es laut auf dem Markt! – Man schilt Sie Verräther am Vaterlande. Mehr noch, man glaubt Sie gewonnen vom Feinde, bestochen. Für Napoleons Geld gäbe diese Verrätherklique dem Könige Rathschläge, die das Vaterland ins Verderben stürzen.«
»Ich kenne unsere Feinde.«
»Sie kennen sie; das ist mir lieb. Verachten Sie die giftigen Zungen, so wünsche ich es. Aber nicht durch stummes Achselzucken, nicht indem Sie die Hände vornehm in den Schooß legen. Dazu ist nicht mehr die Zeit. Sie können sie nur verachten durch helles, offnes Handeln. Hier ist ein Moment; hier gilt es rasch handeln. Was der Courier gebracht, ist kein Geheimniß; morgen weiß es Jeder, er weiß auch, daß er verschlossene Thore fand, daß die Minister schliefen, oder schlafen wollten. Der Lieutenant Schmilinsky, ein Soldat von rohem Schrot und Korn, nimmt kein Blatt vor den Mund, ja er speit schon Feuer und Flamme. Er weiß jetzt, daß seine Depeschen in Ihren Händen ruhen, daß es an Ihnen wäre, die Minister zusammen zu rufen. Geschieht es nicht, so fallen, mein Vater, die Verwünschungen, die Jene treffen, auf Ihr Haupt zuerst.«
»Das hast Du gethan?«
»Ich, und mit freiem Willen –«
»Louis – Deinen Vater in eine Lage zu bringen, die –«
»Ihm Gelegenheit verschafft, den Makel abzuwaschen. Ich freue mich, ich bin stolz darauf. – Zum Minister – befehlen Sie, daß der Kutscher anspannt – befehlen Sie, ich begleite Sie, befehlen Sie, was Sie wollen, ich bin zu Allem bereit. Nur keinen Augenblick gezaudert –«
»Und nach alledem, was ich Dir – nur Dir – vertraute –«
»Will ich meinen Vater rein sehen von der Anklage, wie von der Schuld.« – Er griff nach des Vaters Hand. – »Enterben Sie mich, aber das thun Sie mir zu Liebe. Beim allmächtigen Gott, ich glaube nicht, was der Argwohn spricht, nicht von Ihnen auch nicht von Andern – aber ich lechze, ich sehne mich nach Beweisen, nach einer schlagenden That, damit, was ich wünsche und glaube zur Ueberzeugung wird, damit ich stolz Jedem die Stirn weisen, damit ich ihm ins Gesicht schauen, und ihn einen Lügner strafen kann, der meinen Vater – schilt.«
Der Geheimrath war in einer Aufregung, die sich nicht verbergen ließ, auf- und abgegangen. Jetzt plötzlich riß er an der Schelle. Er ergriff das Portefeuille, er drückte Louis' Hand: »Rufe den Courier, wir fahren zum Grafen.«
Achtunddreißigstes Kapitel.
Gewitterschläge am schwülen Kimmel.
Im Hause der Geheimräthin war es seit jenem glänzenden Abend still hergegangen; aber es war eine Stille, die von sich sprechen machte. Sie litt an Kongestionen des Blutes, Beklemmung des Herzens, und klagte über Visionen. Im Kreise der ihr liebsten Menschen sah sie oft andere Gesichter. Sie redete eine Person an, und meinte eine andere; aber sie betheuerte, sie wisse sich darüber genau Rechenschaft, wenn der Zustand vorüber. Es wären nur nervöse Affektionen, über die die Aerzte keine Auskunft geben könnten. Sie sprach bitter von den Doktoren, und wollte nicht mehr von ihnen behandelt sein.
Die
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