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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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Gevatterinnen urtheilten verschieden über ihren Zustand. Sollte auch die Lupinus sich der Schwärmerei, dem Mysticismus, in die Arme geworfen haben, sie, auf deren Tisch man immer Moses Mendelssohn aufgeschlagen fand! Zwar etwas clairvoyant war sie schon in letzter Zeit gewesen, aber nicht mehr, als die Mehrzahl der zarter gebildeten Frauen es dazumal waren, oder sein zu müssen glaubten. Es waren bei ihr nur momentane Wallungen, und sie deutete dieselben nur für das Aufblitzen unbewusster Naturkräfte. Sie wollte keine Geisterseherin sein und erklärte sich gegen den Aberglauben.
    Aber die Zungen waren fertig, über sie zu richten, und es giebt in einer großen Stadt böse Zungen. Wir übergehen das, was die Boshaften sich zuzischelten: es sei nur Aerger, weil ihre Gesellschaften nicht die Anziehungskraft geübt, die sie gewünscht, und die Exklusiven sich zur russischen Fürstin zögen, weil Prinz Louis durchaus nicht kommen wollen, und es möchte wohl einen besonderen Grund gehabt haben, warum sie den Prinzen so gern an sich gezogen. Worauf Andere hinzusetzten, der Prinz müsse auch wohl einen besonderen Grund haben, warum er nicht gekommen. Wir heben lieber heraus, was die mild Gesinnten zur Erklärung vorbrachten: sie sei zu fein, und weil ihr alles Rohe widerstrebe, wirke es afficirend, gewissermaßen revolutionirend in dem zarten Körper. Andere: sie, die für einen kranken, wunderlichen Mann zu sorgen, habe nun noch die Last für die Erziehung einer Pflegetochter aufgeladen. Was koste das nicht! Und ob es denn auch recht anerkannt würde! Demoiselle Adelheid sei wohl gut und schön, aber sie habe ein eigensinniges Köpfchen. Habe sie es nicht durchgesetzt gegen Aller Willen, daß sie mit ihrem Lehrer halb verlobt sei, einem jungen Menschen, der nichts hat und alle vernünftigen Aussichten von sich stößt. Nicht ihre Eltern hätten es gewünscht, die jetzt auch höher hinaus dächten, noch der Vater des jungen Mannes, der geradezu erklärt, er werde nie solche Schwiegertochter in sein Haus lassen. Um zu einer solchen Partie ihr zu verhelfen, hätte Madame Lupinus das schöne Mädchen auch nicht in ihres genommen, und nun sei doch ihre Lage gewiß nicht beneidenswerth: eine Pflegetochter hüten, an die keine Blutsbande sie fesselten, zu einer Verbindung das Auge zudrücken, die sie ungern sähe, und noch dazu die Verantwortung gegen die Eltern des Mädchens und gegen den alten van Asten, von dem sie noch obenein einen unhöflichen Brief in die Tasche stecken müssen. Könne das nicht ein edelgesinntes Gemüth herunterbringen! –
    In gewissen Kreisen sprach man von einem intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Legationsrath. Der Legationsrath behielt bei den Anspielungen seine vollkommene Ruhe, und rühmte die Bildung und den eminenten Scharfblick der geistreichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der klaren Ruhe des Verstandes eine Geliebte. Die Gevatterinnen wussten, daß er nur seltene Besuche machte, immer in der allgemeinen Besuchsstunde, sie wussten von der Dienerschaft, daß er sich stets in den Formen des feinsten Anstandes bewege. Ihre Gespräche flogen in höhere Regionen der Wissenschaft, oder betrafen Geschäfte. Die Lupinus besorgte selbst ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute Hypotheken nachgewiesen und die Pfandbriefe, die er für die sichersten hielt, anempfohlen. Er war ein Freund des Geheimrathes, den dieser oft stundenlang in seinem Studirzimmer festhielt. Wandel war ein lebendiges Lexikon für alle Ausgaben des Horaz. Und wie theilnehmend hatte er sich bei dem letzten Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn man den Todesfall des alten Bedienten so nennen kann. Wie lange war man darauf vorbereitet gewesen, obgleich Geheimrath Mucius gesagt, er könne sich noch zehn Jahre quälen. »Wie recht hatte Ihre Frau Gemahlin,« hatte er zum Geheimrath gesagt, »die immer besorgte, daß er an einem akuten Anfall Ihnen unter den Händen sterben werde. Und mit welchem Takt sie die Charlatanerie der Aerzte erkannt!« Als man Johann an einem Morgen todt neben seinem Bette gefunden, und alle Hausgenossen in die Kammer stürzten, war die Lupinus nur bis über die Schwelle gekommen. Hier ging ihr der Athem aus, die Kräfte versagten, und sie war in die Knie gesunken. Ihr Gatte und der Legationsrath mussten die Ohnmächtige aufheben. Wie liebevoll hatte er ihr da Worte des Trostes zugesprochen. Die Dienerschaft zerfloß in Thränen: »Warum erschrecken, meine Freundin,

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