Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
einer ansehnlichen Offerte hervortrat, zur Stimulation für die Andern zu honoriren.«
»Das ist auch meine Ansicht,« schloß Büsching. »Es ist mit unserm Gemeindewesen überhaupt nicht, wie es sein sollte. Da muß man Manches dem Einzelnen überlassen, was eigentlich nicht an ihm wäre.«
»Unser Räderwerk ist etwas verrostet, das ist richtig,« stimmte Gerresheim bei.
Jener fuhr fort: »Können wir als Korporation etwas thun, um auf das Staatswohl einzuwirken? Weder nach Oben, noch nach Unten haben wir Einfluß.«
»Ist auch nicht unseres Amtes, Herr Kollege,« sagte Köls. »Und ich sollte meinen, es macht uns schon genug zu schaffen.«
»Papierstöße in Aktenberge zu verarbeiten! Meines Erachtens wäre in einem wohlgegliederten Staate die Aufgabe des Magistrats einer Stadt wie Berlin eine andere, als im Schlendrian zu vegitiren.«
»Liebster, bester Kollege, keine Neuerungen! Haben wir's nicht gesehen, wohin sie führen? Wenn erst distinguirte Männer im Amt einen Penchant dazu bekommen –«
»Neuerungen!« fuhr Büsching dazwischen, »was so uralt ist, als es Städte in Deutschland gab. Der Bonaparte freilich macht in seinem neuen Reiche seine Bürgermeister zu Domestiken und den Magistrat zu Pagoden; bei uns aber ist doch wenigstens noch die Fiktion, daß wir aus der Bürgerschaft hervorgegangen, daß wir ihre Interessen vertreten, oder, wie man jetzt sagt, sie repräsentiren. Traurig genug, daß es nur noch Fiktion ist. Meine Herren Kollegen, fühlen Sie denn nicht, daß es einer innigern, festern Gliederung zwischen oben und unten, zwischen allen Theilen, Gliedern und Ständen bedarf, um uns fest in uns selbst zu machen? Wenn ein Feind in England einfiele und London nähme, wäre England nicht verloren, weil in jeder Grafschaft ein Theil des Ganzen lebt, der selbst Lebenskraft hat, weil die Gemeindevorstände aus der Gemeinde hervorgingen, mit ihr zusammenhängen, mit ihr, auf sie gestützt, handeln können. Da rettet sich ein Theil des Staates, der Nation, in die Städte, Grafschaften, von dort aus erhebt sich England wieder. Was aber wäre Preußen, wenn Berlin genommen ist, und der Sitz der Regierung, ehe man die Staatsmaschine retten konnte, mit Allem darum und daran, dem Feinde in die Hände fiel? Wo sollte sich ein Widerstand organisiren, wo eine legale Autorität auftreten, wenn ein Schlag den Knoten zerhieb, in dem alle Fäden zusammen liefen, und sie hängen nun lose da. Die Einzelnen möchten zwar gern und sie sind bieder, gut, entschlossen; aber wo ist ein Mann, ein Name, eine Institution, welche eine Kraft, einen Anspruch hat, die Einzelnen um sich zu sammeln. Wir haben keine Aristokratie, keine Magistrate, wie sie sein sollten, gar keine Korporationen mit Einfluß hinter sich, mit Untergebenen, die ihren Führern, wenn nicht aus Liebe folgen, doch aus Interesse sich zu ihnen schaaren. Wenn der Schlag fiele, sind wir zersplittert, eine zerstreute Heerde, von der jeder Nachbar, jeder Räuber, was ihm bequem liegt, an sich risse.«
»Wir haben unsere Armee,« sagte Köls.
»Und die Armee hat Disciplin,« setzte Gerresheim hinzu. »Mit Disciplin lässt sich Alles durchsetzen.«
»Auch der Opfermuth, der festhält an einer verlornen Sache? – Lassen Sie uns abbrechen, meine Kollegen, unsere Ansichten finden keine Vereinigung. Wir haben keine Korporationen, Stände, keine Gliederung im Staate, aber wir haben Menschen, gute, tüchtige Menschen, vielleicht Charaktere, die nur jetzt verborgen sind, und die Noth weckt noch mehr zur rechten Stunde. Das hoffen wir doch Alle, und lassen Sie uns an diesem Glauben festhalten. Darum –«
»Wollen wir auch das Scherflein der Wittwe nicht verschmähen; die dreihundert Thaler der Lupinus sind uns aber lieber,« fiel Köls ein. »Sie ist ein wenig fanatisch in ihrem Patriotismus,« sagte Büsching. »Und –« setzte Gerresheim hinzu und schwieg plötzlich, bis er die Bemerkung hinwarf: »Die Frau Geheimräthin admirirte vor kurzem noch den Bonaparte mit einiger Ostentation; da ist das Changement doch auffällig.« Die drei Herren sahen sich an und mussten sich verstehen.
»Es ist doch etwas eigenes mit der Weibernatur,« sagte Köls nachdenklich. »Wie weit sind sie uns oft vorauf, ich möchte sagen, wie der Blitz, der durch die Nacht leuchtet, und wir sehen den Weg vor uns. Aber dann, wenn wir den Weg einschlagen wollen, haben sie sich plötzlich verloren und wir haben Mühe sie mitzuziehen.« »Sie thut's auch jetzt nur, um von sich reden zu
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