Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
beschwören, und hat doch ein falsches Zeugniß abgelegt. Walter hatte nicht das kurze Zwiegespräch belauscht, was die Geheimräthin mit Adelheid vorher gepflogen, nicht die Komödie, die sie ihr zur Pflicht machte. Die Wangen des jungen Mädchens glühten allerdings, aber sie waren vorhin todtenblaß und die Röthe war die Schminke, welche die Geheimräthin selbst ihr aufgelegt »Die Welt braucht nicht zu wissen, was wir wissen,« hatte sie gesagt.
Fünfzigstes Kapitel.
Ein Präludium.
Das Nationaltheater bot heut einen feierlichen Anblick. So gefüllt hatte man es seit lange nicht gesehen. Es war nicht Ifflands Kunst noch Flecks Genie, auch nicht die Anmuth der Unzelmann, der spätern Bethmann, oder die bezaubernde Stimme der Schick, was dieses Publikum angelockt. Es war kein glänzendes im gewöhnlichen Sinne, obwohl Gold und Silber von den Uniformen flimmerte, und aus den Gesichtern der Zuschauer ein eigenthümlicher Glanz strahlte, der der gespannten Erwartung, aber auch ein etwas, was die Mehrzahl voraus wusste. Daher die schlauen lauschenden Blicke, ein vergnügtes Zublinzeln, ein Zuverstehengeben, daß man unterrichtet sei.
Kein glänzendes Publikum, was man in Berlin so nannte, sagen wir; denn weder der Hof war zugegen, noch ein hoher Gast, dessen Anwesenheit immer die Neugier anzieht. Im Gegentheil fehlten gerade die ausgezeichnetsten Männer, die man sonst im Theater zu sehen pflegte, und die, welche zu dem regierenden Kreise in näherer Beziehung standen. Man vermisste aber auch mehrere eminente Persönlichkeiten, welche zu diesen Kreisen nicht gehörten, sondern sich ihnen feindlich gegenüber stellten. Wenn sie es waren, die das Schauspiel angeordnet, hielten sie es für schicklich, wenigstens den Schein zu vermeiden, und verbargen sich in der Tiefe der damals sehr dunkeln Logen.
Nicht der Schauspieler und der Darstellung wegen schien dieses große, lebhafte Publikum versammelt, sondern seiner selbst willen. Es wollte sich eine Darstellung geben. Auf dem Zettel stand angekündigt Babo's: »Puls.« Um dieses feinen, psychologischen Schauspiels willen hatte nicht das Offizierkorps für die Wacht- und Quartiermeister der Regimenter Gensd'armen verschiedene Logen im ersten und zweiten Range gemiethet, noch sah man deshalb im Parterre und auf dem Amphitheater Gruppen von Infanteristen und Husaren, jede von 10 bis 12 Mann um ihren Unteroffizier versammelt. Auch saßen untersprengt in den anderen Logen zwischen geputzten Damen und aristokratischen Herren gemeine Soldaten in ihrer Kommisuniform, ein damals weit grellerer Kontrast und unerhörter Anblick. Die »honetten« Leute erschraken sonst vor der Berührung mit der blauen Montur. Und so geschickt, aber doch nicht glücklich hatte man das bürgerliche Publikum mit dem Militär im ganzen Hause vermischt, denn wer Augen hatte, sah die Absicht. Man wollte sie aber auch nicht verbergen, nur einen luftigen Schleier darüber werfen. Volksschauspiele zu arrangiren war die Zeit in Preußen noch nicht gekommen.
Auf dem Komödienzettel stand aber hinter dem Babo'schen Puls: »Auf vieles Begehren Wallensteins Lager von Friedrich Schiller.«
»Hatte man denn kein patriotisches Stück?« schien der Sinn der Frage, die Jemand im Parterre seinem Nachbar zuflüsterte, der zu den Eingeweihten in Beziehung stehen musste. »Es ist weder preußisch- noch deutsch-patriotisch.« – »Aber militärisch,« antwortete ein Dritter. – »Es wäre doch schlimm,« meinte Jener, »wenn wir den Franzosen nichts entgegen zu setzen hätten.« – »Als soldatesken Stolz!« ergänzte der Dritte. – »Ein Schelm giebt mehr als er hat!«
Babo's »Puls« ward mit mehr Aufmerksamkeit gegeben als gehört. Die Pulsschläge im Parterre waren zu heftig, um den sanften auf den Brettern folgen zu können. Es blieb still trotz des Meisterspiels der Darstellenden. Aber doch schlugen nicht alle Pulse auf ein Ziel. Es war so viel zu sehen, Viele sahen sich, die sich niemals hier getroffen. Woran sollten die Soldaten denken, die in diesen Räumen zum ersten Mal standen, kerzengrad, auf Kommando und des neuen Kommando gewärtig. Das Spiel da oben war für sie ein Schattenspiel an der Wand, in unverständlichen, gleichgültigen Hieroglyphen, die auf ihren glotzenden Gesichtern nicht den geringsten Eindruck machten.
Auch vor der Schlacht schlagen nicht alle Pulse nur der Entscheidung entgegen. Die Karte, der Würfel und ein schönes Auge machen das Blut so lebhaft pulsiren, als der erste
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