Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Ehrlichkeit, auf die es sich brüstete, warf es in den Tiegel.«
Der Rath ging im Zimmer auf und ab; er sah nicht, was auch dem Militär entging, daß ihr lautes Gespräch einen Vorübergehenden angelockt, der an der Schwelle der geöffneten Thür stehen geblieben. »Unterscheiden Sie wenigstens die Nation von – Denen, die Sie brandmarken.«
»Wer ist die Nation? Wo sitzt sie? Wo schlägt ihr Herz wo drücke ich ihre Hand? Das ist die ungeheure Täuschung, daß wir dieses Konglomerat von Gliedern für einen organischen Körper ansahen. Hier, wo alle Adern zusammenfließen sollen, glaubte ich das Herz gefunden zu haben. Was fand ich? Zwei Rassen, man sollte meinen, von verschiedener Abstammung, Sprache, Hautfarbe, wie Niebuhr die Römer seciren will. Zwei Rassen, die sich ausweichen, verachten, hassen, Militär und Civil genannt! Dies Militär knirscht freilich, aber was hilft uns das Knirschen der Maschine mit knarrenden Rädern! Dieser Koloß ohne Elasticität kann noch zermalmen, nicht mehr retten, befreien, weil ihm der Odem fehlt. Der Mensch, der Mann, der Bürger, ja der Ritter selbst, ging unter in der vielgelobten Disciplin. Da sollen wir Kämpfer, Paladine suchen für die ewigen Güter der Nation, wo Gefühl dafür, Bewusstsein, der feurige Willen zum Verbrechen ward! Ein paar elende Kreaturen, gehasst verachtet von Allen, selbst von Denen nicht geliebt, in deren Stimmungen sie sich einhüllen, um sie im Schlaf zu beherrschen, die sind wichtiger, als dieses mächtige Heer. Was ist nun dieser gewaltige separirte Theil der Nation, den man als ihr anderes Selbst im Auslande betrachtet, wenn sein zornschnaubender Hauch nicht mal diese Lumpenmänner fortbläst?«
»Die Nation besteht nicht allein aus dem Militär.«
Der Major war sonst kein Mann von vielen Worten, aber wenn eine Schleuse geöffnet, hältst du das Wasser nicht zurück. Die Feuersäule, die ein Haus ergreift, sprüht mit dem trocknen Gemüll auch Gebälk und Steine in die Luft.
»Ich kenne nun auch die Andern. Durch das Geflimmer der Worte sah ich ihre Wahrheit. Viel buntes Glas, einige böhmische Steine und wenige Diamanten; durch die gut geschliffenen Gläser glänzt es von fern wie ein Eldorado. Große Versicherungen und kleine Thaten, ein beständiges Streben nach dem Höchsten, aber der Weg führt durch Moor und Sandsteppen des Albernen und Frivolen. Auf Stelzen vor Freund und Feind, und wenn sie die Thür zuschlossen, spotten und lachen sie über sich selbst. Gedanken, große und schöne, aber wie Irrlichter; sie erblassen schon auf der Lippe. Vom Boden habt Ihr Euch gelöst, der dürftigen Natur, die Euch der Himmel anwies. Ihr konntet wie Sturmvögel Euch andere Regionen suchen, aber nun flattert Ihr, von Euren ermatteten Adlern verlassen, zwischen Himmel und Erde, und wisst nicht, wohin. Ueberall vor Rücksichten scheuend, zittert Ihr vor Eurer eignen Kraft. Um's Euch nicht zu gestehen, woran Ihr krankt, am Glauben an Euch selbst, hüllt Ihr Euch in Wolkenpaläste und klammert Euch an Systeme, die beim nächsten Sturmwind zerrissen sind. Dies Scheinleben ist das Zehrfieber, das Euern Staat vom Winkel bis zur Zeh entnervt. Eine angezündete Fackel wollten sie neulich schleudern, ein Weltbrand sollte es werden, aber sie waren zufrieden mit Kolophoniumblitzen. Da in den Flammenzuckungen dieses verunglückten Theaterabends konnte man die ganze Misere erkennen. – Auf dem Theater sollte die Welt zurecht gelegt werden, und mit Recht, denn diese Welt ist nur eine Theatervorstellung. Man spielt sich selbst und ist zufrieden, wenn man gut gespielt hat.«
Fuchsius halte mit verschränkten Armen und verbissenem Munde schweigend zugehört. Jetzt öffnete er ihn, aber was er sagen wollte, schien er rasch zu verschlucken. Tonlos sprach er: »Sie aber sind noch nicht zu Ende, Major. Ich erwartete, daß Ihre Philippica auch die Schlittenpartie der Gensd'armen der Nation auf ihr Schuldconto schreiben würde.«
»Ist denn seit vierzehn Tagen von Besserem die Rede? Ist Mark und Niere durchschüttert von der Satyre des Weltgeschickes, daß man auf den Brettern den Krieg spielte, derweil er draußen im Blute von Austerlitz schon ersäuft war, daß man über einen Sieg jubeln konnte, tagelang noch die Blätter Lorbeern den Russen zuschmeißen, derweil in den unterrichteten Kreisen Jeder vom Gegentheil wusste? Nichts von Erschütterung. Man hatte von Wichtigerem zu plaudern: ob der Blutsturz des jungen Herrn Bovillard ein gefährlicher, oder nur ein
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