Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
sein, das Residuum des Tiegels ward in eine Retorte gethan, und der Legationsrath sah dem Entwicklungsprozeß des Gases mit einem stillen Vergnügen zu. Darauf deutete wenigstens der halb verzogene Mund und der schlaue Blick des halb schielenden Auges, während er auf dem Schemel zurückgelehnt saß, ein Bein über dem andern wiegend.
Sein Blick siel aber auch auf die beiden Frauenbilder. Wie er mit den Augen zwinkerte, schien er mit ihnen ein eigenthümliches Gespräch zu führen. Seine Lippen bewegten sich, er gestikulirte mit den Händen. Ein Diagnostiker hätte vielleicht bemerkt, daß ihm die Unterhaltung einige Anstrengung kostete. Wenn er noch schärfer sah, würde er aber auch bemerkt haben, daß es Wandels Absicht war, sich zu etwas zu zwingen, was ihm Pein verursachte. Es giebt eine Wollust, die auch den Schmerz aufsucht. Die beiden Bilder waren in Wasserfarben, beide schöne Frauengesichter. Die Aeltere, blaß und kränklich, hatte einen schmachtenden Blick; die jüngere Nußbraune schaute mit ihren funkelnden Augen kecker in die Welt hinein. Wandel schien sich lieber mit der Aelteren zu unterhalten, als einer genaueren Vertrauten. Wohl nickte er der Jüngeren und warf ihr eine Kußhand zu, aber es war, als ob er das Funkeln ihrer Augen nicht lange ertrug. Er schlug zuweilen seine Augen nieder. Beide waren unzweifelhaft Schwestern, dem wohlhabenden Stande angehörig, wie ihre reichen Kleider, nach der Mode der vergangenen Jahrzehnte, andeuteten. Seine Lippen flüsterten, Laute, freilich nur für die Geister, welche im Sonnenstrahl als Ständchen sich schaukelten, aber auch der Dichter darf sie hören:
»Schöne Molly, warum ließest Du nicht den Vorwitz! Deine Kohlenaugen funkelten vielleicht noch, munterer als auf dem Bilde, und Dein Leib wäre so wonnig und voll, denn Du hattest Anlage zum Embonpoint, als Deine arme Schwester da täglich magerer und dürrer wird. Wenn ich nicht mit Draht hülfe, fiele sie auseinander. – Arme Angelika, Dir konnte ich nicht anders helfen. Hadre mit der Natur, daß sie Dir keinen besseren Brustkasten schuf. Du dankst mir auch, daß ich Deine Schmerzen schneller endete. Ja, ich weiß es, Angelika, wir sind Freunde geblieben – wenn die Wolke durch den Mond streift, und Du mir im Nebelgeriesel einen feuchten Kuß auf die Wange hauchst, es ist ein Kuß des Dankes und der Liebe. Ich versichere Dich auch, ich habe Dich geliebt. Du warst sanftmüthig, voller Ergebung, eine Schwärmerin freilich, aber klug genug, von einem Manne nicht mehr zu fordern, als er geben kann. Ein Mann hat viele Ausgaben, das sahest Du ein. Und darum Dein schönes Testament, das wahrhafte Zeichen einer schönen Seele, obgleich ich gestehen muß, daß ich es eigentlich diktirt. Um dieses Testamentes willen wirst Du mir ewig unvergesslich bleiben! Nein, ohne Spaß, das Andre seitdem ist alles Spaß, Du gabst Alles für mich auf, in Brüssel Deinen Mann, in Paris Dich selbst. Mit solcher Aufopferung, Entsagung, solchem Fanatismus hat mich Keine geliebt. Um deswillen versprach ich Dir, was Du in der Fieberhitze des Todtenbettes fordertest – das letzte heilige Gelöbniß, Dich auch im Tode nicht von mir zu lassen. Vernünftige Menschen würden es eine unsinnige Plackerei nennen! Ich habe Dich verstanden – nicht Dein Geist, das ist eben Alfanzerei! aber Deine Materie, was sich von Dir erhalten ließ, soll mich umschweben. Ein bescheidener Platz am Nagel. Nein, mehr. So hast Du meinen Muth geliebt, der sich nicht scheute, Dich schneller ausleben zu lassen, Du wolltest, daß ich an diesem Anblick die Nerven immer stähle, wenn sie schwach würden, immer mehr Herr über jene Empfindungen würde, die der Mensch sein Erbtheil nennt. Wenn Du Deine Augen aufschlagen könntest! Wie hat das Recipe gewirkt. Ich schüttle Deine Hand, klapperndes Gebein. Ich fürchte mich nicht vor Dir, vor nichts!«
Und doch schienen seine Knie beim Niedersetzen nicht ganz so fest, als das Todtengerippe an der Wand noch hin und her rasselte, bis es die vorige Ruhe gewonnen. Er biß sich in die Lippen. Dann schlug er das Auge zum andern Bilde auf:
»Die Schelmin! – Noch sehe ich Dich, Du allerliebstes Geschöpf, wie ich Dich am Schlüsselloch ertappte. War es denn Lüge, als ich Dir die Kehle zuhielt und den Mund mit Küssen erstickte. Ich liebte Dich ja, das war Wahrheit. Nur Dir zu Liebe hätte ich's! Was ging's Dich an, ob das auch Wahrheit war? – Du wardst glücklich, selig in meinen Armen. Die todte Schwester hinderte
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