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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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setzt, Alles, nicht nur Gut und Blut, auch die Gewöhnung, das eingeschrumpfte Dasein, den Stolz. Sie müssen neu geboren, sie müssen wieder Kinder werden, um der Gnade empfänglich.« – »Und wenn das Volk den Ruf nicht hörte!« – » So haben wir gerufen, und der Schall vibrirt fort durch die Luft – er weckt nach uns, Andre werden uns hören, wenn wir längst untergegangen.«
    Der Freiherr ging wieder in Gedanken versunken auf und ab. Er blickte noch einmal zum Fenster hinaus, und das Sternenlicht schien wieder seine Ruhe und Klarheit auf das charakterfeste Gesicht des Mannes gehaucht zu haben, als er zurückkehrend sich Walter gegenüber am Tische niedersetzte. »Wir dürfen uns nicht in Empfindungen verlieren, es drängt. Nehmen Sie wieder die Feder –« Walter schrieb – hingeworfene Sätze, die von den Lippen des Ministers, wie ein immer lebendigerer Quell, sprudelten. »Gedenken Excellenz auch dieses Memorial durch die Hand der Königin an die höchste Stelle zu befördern?« – »Ja, die Königin – wenn sie –!« Die Gedanken flogen, sie drängten und überstürzten sich, konvulsivisch, wie die Bewegungen der Lippen. »Und warum es uns verhehlen, was eine nur zu sichere Ahnung uns sagt! Auch dieser Versuch wird scheitern! Zu einem Titus in Tagen des Friedens war er geboren. Die Zeit forderte einen Sulla. Dieser bürgerliche Gerechtigkeitssinn reicht aus in Zeiten, wo das Rechte aufhört. Daß es da ein Höheres giebt, was der geweihte Priester aus den Wolken greifen muß, wer darf ihn tadeln, daß ihn Gott zu diesem Glauben nicht geweiht. Er hat eine Scheu vor außerordentlichen Schritten – es wird
ad acta
gelegt werden wie das andere. Sollen wir darum nicht unsere Pflicht thun? – Wir werden Napoleon unterliegen.« – »Seiner Uebermacht?« – »Nein, unserer Unmacht! Unserm Dünkel, der den im Sturm und Donner neu schaffenden Gott nicht sieht. – Schreiben Sie weiter –« »Und mit dieser Vorahnung –« »Vorbewusstsein,« korrigirte der Minister, »will ich ihnen einen Spiegel hinhalten. Desto besser, wenn sie ihn im Zorn zerschlagen, weil sie so hässlich darin aussehen. Wenn die Zuchtruthe des Herrn über sie kommt, lernen die Völker beten. Mit Gebet allein aber, mit dem Insichgehn ist's nicht gethan, sie sollen aus sich herausgehn. An Verstand hat's nicht gefehlt, aber an Muth, ihn auszuprägen. Wir werden nicht ernten, aber säen wollen wir. Der Krieg wird die Saat zerstampfen, aber ein Körnlein geht doch auf.«
    Es war lange nach Mitternacht, als Walter die Feder niederlegte. Es war nicht ungewöhnlich, daß der Minister nach gallichten Ergüssen seiner Heftigkeit selbst die Gescholtenen zur Widerrede aufforderte. Zur Ruhe zurückgekehrt, hörte er sie auch ruhig an. Walter glaubte, daß er in mehreren Punkten die Wirklichkeit schwärzer gemalt, als sie sei.
    »Das ist nur der Fluch der Parteistellung. Im Eifer fliegen wir über das Maß hinaus, in der Anschuldigung wie in der Vertheidigung. Es lässt sich nicht anders thun, der redlichste Wille wird unterthan dem Zwecke. Götter sind wir nicht, und der Allmächtige wird wissen, warum er uns nicht Engelsseelen gab. – Uebrigens solcher Liederlichkeit ist auch Gift ein Heilmittel. Heim braucht jetzt Arsenik, wenn das kalte Fieber absolut nicht weichen will.«
    Walter legte aufstehend die Papiere zusammen. Die Sitzung war geschlossen.
    Draußen klirrten Schleppsäbel auf dem Pflaster, junge Offiziere, von einem verspäteten Zechgelage heimkehrend, gingen lachend und singend vorüber.
    »Es sind Theilnehmer an der Bravade von heut darunter,« sagte Walter, der sich dem Fenster genähert hatte. »Sie sind des Erfolges sicher.«
    Der Minister legte seine Hand auf Walters Schulte: »Und welchen andern, mein Freund, hätte diese Bravade gehabt, wenn ein Jahr früher! Damals hätte es zünden müssen. Damals, als das Pulver gestreut lag. Laforest hätte seine Pässe fordern müssen, es ging nicht anders. Hardenberg hätte sie ihm auf der Stelle zugesandt – der Sturm war los, die Schleusen gebrochen, und die Sonne von Austerlitz wäre anders untergegangen! Warum trieb der Champagner ihr Blut nicht durch die Adern! – Warum da nicht? Warum zu spät? Das sind die Fragen, die unsere Philosophie aus ihren Angeln heben.«
    Der Ministerialsekretär war schon aus der Thür, als er ihn wieder zurückrief. »Ich wollte Sie nur um einen kleinen Dienst bitten, klein für Sie, groß für mich. Es liegt mir viel, sehr viel daran, daß Bovillard

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