Ruhe unsanft
ganz…«, begann er.
»Nein? Mir scheint alles so erschreckend klar. Aber vie l leicht ist es besser, wenn Sie nicht begreifen, und auße r dem ich kann mich irren. Erzählen Sie doch, wie es Ihnen in Northumberland ergangen ist?«
Die jungen Leute lieferten einen genauen Bericht, und Miss Marple hörte aufmerksam zu.
»Es war bedrückend«, schloss Gwenda. »Tragisch, könnte man fast sagen.«
»Allerdings. Ein armer Mensch…«, sagte Miss Marple.
»Ja, das finde ich auch. Was er leiden muss!«
»Er? Ja, natürlich.«
»Sie meinten aber…«
»Nun ja, ich dachte mehr an sie, an die Frau. Wah r scheinlich hat sie ihn leidenschaftlich geliebt und liebt ihn noch, während er sie heiratete, weil sie eine passende Pa r tie war oder weil sie ihm leidtat oder aus sonst einem freundlichen und vernünftigen Grund, den Männer oft für ihre Heirat angeben und der in Wahrheit entsetzlich unfair ist.«
»Ich weiß, wohl hundert Wege hat die Liebe, und jeder führt zum Schmerz nur die Geliebten«, zitierte Giles halblaut. Miss Marple wandte sich ihm lebhaft zu.
»Wie wahr! Was nun die Eifersucht betrifft, so hat sie meist keine greifbare Ursache. Sie kommt von viel tiefer her, wie soll ich sagen – aus den Abgründen der Seele, aus der Erkenntnis, dass die eigene Liebe nicht erwidert wird. Folglich lauert derjenige geradezu darauf, dass der andere die Treue bricht, was dann auch unweigerlich g e schieht. So haben die Erskines sich das Leben zur Hölle gemacht, wobei sie vermutlich mehr gelitten hat als er. Trotzdem wage ich zu behaupten, dass er im Grund doch an ihr hängt.«
»Unmöglich!«, rief Gwenda.
»Liebes Kind, Sie sind noch sehr jung. Immerhin hat er seine Frau nicht verlassen, und das heißt schon etwas.«
»Nur der Kinder wegen. Aus Pflichtgefühl.«
»Das will ich gelten lassen, wenigstens solange sie klein waren«, räumte Miss Marple ein. »Aber das Pflichtgefühl pflegt bei den Männern bedeutend abzuflauen, wenn es nur noch die Frau betrifft. Im Staatsdienst ist es wieder anders.«
»Sie können ja richtig zynisch sein, Miss Marple!« Giles lachte.
»Oh, Mr Reed, das war nicht meine Absicht. Man soll die Hoffnung auf das Gute im Menschen nicht aufg e ben.«
»Walter Fane kann es nicht gewesen sein«, sagte Gwe n da nachdenklich. »Ich traue es ihm einfach nicht zu. Und Major Erskine war es erst recht nicht, das spüre ich ei n fach.«
»Unsere Gefühle sind nicht immer die zuverlässigsten Führer«, meinte Miss Marple. »Da passieren die unwah r scheinlichsten Dinge, bei Leuten, denen man es nie z u getraut hätte. Wie zum Beispiel in meinem eigenen Ort, wo man dahinter kam, dass der Kassierer des Sparvereins jeden Penny der Einnahmen mit Pferdewetten durchg e bracht hatte. Dabei predigte er jahrelang gegen Spielen und Wetten in jeglicher Form, und es war ihm bitterernst damit, denn sein Vater war Buchmacher gewesen und hatte seine Frau sehr schlecht behandelt. Dann wollte es das Unglück, dass er eines Tages bei Newmarket einige Pferde beim Training sah. Und da überkam es ihn. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Baum!«
Giles unterdrückte ein amüsiertes Zucken um seine Mundwinkel und bemerkte, die Vorfahren Fanes und Erskines seien wohl über jeden Verdacht erhaben. »Aber eine Veranlagung zum Mord gibt es wohl sowieso nicht«, fügte er hinzu. »Mord ist eher das Verbrechen eines Am a teurs.«
»Bedeutsam ist«, sagte Miss Marple, »dass beide an j e nem kritischen Abend in Dillmouth waren, am Ort des Geschehens. Walter Fane wohnte wieder hier, und Major Erskine muss laut seinem eigenen Bericht kurz vorher noch mit ihr zusammen gewesen sein – und er ist erst geraume Zeit später in sein Hotel zurückgekehrt.«
»Er hat doch alles ganz offen erzählt…« Gwenda brach unter Miss Marples prüfendem Blick verwirrt ab.
»Der springende Punkt ist, dass beide in nächster Nähe waren.« Miss Marple sah von Gwenda zu Giles und fuhr fort: »Nun müssen Sie Mr Afflicks Adresse ausfindig m a chen. Als Besitzer der ›Daffodil Coaches‹ dürfte es nicht sehr schwierig sein.«
Giles nickte. »Ich werde mich darum kümmern. Meinen Sie, wir sollten ihm einen Besuch abstatten?«
Miss Marple überlegte kurz. Dann erwiderte sie:
»In diesem Fall sollten Sie sehr vorsichtig sein. Bede n ken Sie, was der alte Gärtner erzählt hat: Jackie Afflick galt als gerissen. Bitte, seien Sie vorsichtig. Bitte!«
21
J. J. Afflick, »Daffodil Coaches«, Devon & Dorset Tours war im Telefonbuch von
Weitere Kostenlose Bücher