Ruhelos
die Seitentaschen und fand nichts Interessantes. Ich war mir nicht einmal sicher, wonach ich überhaupt suchte. Nach Waffen? Einer Pistole? Einer Handgranate? Ich verließ das Zimmer, schloss die Tür und machte mir in der Küche ein Sandwich.
Als Hamid zu seiner Stunde kam, überreichte er mir einen Umschlag und ein Flugblatt. Das Flugblatt kündigte eine Demo vor dem Wadham College an – gegen den offiziellen Besuch der Schwester des Schahs, Prinzessin Ashraf. Im Umschlag steckte die Einladung zu einer Party im Obergeschoss des Captain Bligh, eines Pubs in der Cowley Road, die am Freitag stattfinden sollte.
»Wer veranstaltet die Party?«, fragte ich.
»Ich«, sagte Hamid. »Ich will mich verabschieden. Am Tag darauf gehe ich nach Indonesien.«
Am selben Abend, als Jochen im Bett lag und Ludger mit Ilse ins Pub gegangen war – sie luden mich immer ein, und ich lehnte im mer ab –, rief ich Detective Constable Frobisher an.
»Ich habe einen Anruf von dieser Ilse bekommen«, sagte ich. »Jemand muss ihr aus Versehen meine Nummer gegeben haben – sie fragte nach jemandem, den ich nicht kannte, einem James. Ich glaube, der Anruf kam aus London.«
»Nein, sie ist jetzt mit Sicherheit in Oxford, Miss Gilmartin.«
»Oh.« Da war ich platt. »Was soll sie denn angestellt haben?«
Schweigen, dann antwortete er: »Eigentlich dürfte ich Ihnen das nicht erzählen, aber sie hat sich als Hausbesetzerin in Tooting Bec aufgehalten. Wir vermuten, dass sie mit Drogen handelt, aber es liegen nur Anzeigen wegen aggressiven Betteins vor. Betteln, verbunden mit Drohungen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Ach so. Dann ist sie also nicht so eine Art anarchistische Terroristin.«
»Warum fragen Sie?« Sein Interesse erwachte von neuem.
»Nur so. Weil man ständig davon in den Zeitungen liest.«
»Klar … also, Scotland Yard möchte, dass wir sie festnehmen. Und solche Typen brauchen wir in Oxford nicht«, fügte er ein wenig selbstgerecht und albern hinzu.
Oxford ist voll von kaputten Typen, dachte ich. Auf eine Ilse mehr oder weniger kommt es nicht an.
»Wenn sie sich noch mal meldet, rufe ich sofort an«, versprach ich pflichtbewusst.
»Vielen Dank, Miss Gilmartin.«
Ich legte auf und stellte mir die magere, schmuddlige, übellaunige Ilse beim aggressiven Betteln vor. Dann beschlich mich die Frage, ob es ein Fehler gewesen war, Frobisher anzurufen – er schien mir ziemlich pflichteifrig –, und was mich dazu verführt hatte, den Terrorismus zu erwähnen. Das war ein Patzer, ein wirklich dummer Fehler. Ich hatte geglaubt, die zweite Generation der Baader-Meinhof-Bande bei mir zu beherbergen, doch dann entpuppten sie sich als die üblichen faulen Säcke und Versager.
Die Demo vor dem Wadham College war für achtzehn Uhr angesetzt, den Einweihungstermin für die neue, vom Schah finanzierte Bibliothek, zu deren Eröffnung die Schwester des Schahs erwartet wurde. Ich holte Jochen von Grindle’s ab, mit dem Bus fuhren wir in die Stadt. Wir hatten noch Zeit für eine Pizza mit Coke in der St. Michael’s Street, bevor wir Hand in Hand über die Broad Street zum Wadham College liefen.
»Was ist eine Demo, Mummy?«, fragte er.
»Wir protestieren dagegen, dass die Universität Oxford Geld von einem Tyrannen und Diktator annimmt, einem Mann, der sich Schah von Iran nennt.«
»Schah von Iran«, wiederholte er; der Klang der Wörter schien ihm zu gefallen. »Kommt Hamid auch?«
»Mit Sicherheit, würde ich sagen.«
»Er kommt auch aus dem Iran, stimmt’s?«
»Allerdings, kleiner Schlaumeier …«
Ich blieb stehen und staunte – eine Menschenmenge von etwa fünfhundert hatte sich zu beiden Seiten des Haupteingangs gesammelt und bildete zwei Gruppen. Erwartet hatte ich das übliche Häuflein der verbohrten Linken und ein paar Halbstarke, die ihren Spaß haben wollten, aber dort waren Dutzende Polizisten, die eine Kette bildeten und den Eingang zum College so weit freihalten wollten, wie es nur ging. Andere standen auf der Straße und winkten ungeduldig die Autos durch. Es gab Transparente mit der Aufschrift DIKTATOR, VERRÄTER, MÖRDER, SCHANDE FÜR OXFORD und (etwas witziger) DIE SCHAHNDE VON IRAN, ein Vermummter mit Megaphon dirigierte Sprechchöre auf Farsi. Doch die Stimmung war merkwürdig festlich – vielleicht, weil es ein so schöner Sommerabend war, vielleicht, weil es eine gesittete Oxforder Demo war, vielleicht auch, weil es nicht einfach schien, sich wegen der Eröffnung einer Bibliothek so
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