Ruhelos
stürzen, er würde weiter als Reichskanzler agieren, aber unter dem strikten Regime der meuternden Generale. Nach mehreren vorbereitenden Kontakten, die der Absicherung und Klärung von Details dienten, hatte eine in Den Haag stationierte Einheit des SIS ein erstes persönliches Treffen mit dem General arrangiert. Als Verhandlungsort wurde ein Gasthaus in Prenslo gewählt, weil der General und seine Kollaborateure dort unbemerkt über die Grenze wechseln konnten. Das Gasthaus selbst war keine hundert Meter von der Demarkationslinie entfernt.
Eva hörte aufmerksam zu, während sich etwa drei Dutzend Fragen in ihrem Kopf aufstauten. Sie wusste, dass es nicht gut war, die Fragen herauszulassen, aber es war ihr schon egal; sie war übermüdet und völlig konsterniert.
»Warum brauchen Sie mich dafür?«, fragte sie.
»Weil mein Gesicht bei den SIS-Leuten bekannt ist. Der eine von ihnen ist Standortchef in Holland, den habe ich schon öfter getroffen.« Romer reckte sich, sein Ellbogen stieß an Evas Schulter. »Entschuldigung – Sie müssen für mich Augen und Ohren aufsperren, Eva. Ich muss genau wissen, was passiert.« Er lächelte müde über die Zumutung, ihr das erklären zu müssen. »Dieser Knabe wäre sehr verwundert, wenn er mich beim Schnüffeln erwischen würde.«
Eine weitere Frage musste heraus: »Aber warum schnüffeln wir denn? Gehören wir nicht letzten Endes alle zum ›Secret Intelligence Service‹?« Sie fand die ganze Sache ein wenig lächerlich, offenbar steckten irgendwelche Reibereien zwischen den Abteilungen dahinter, und das hieß nichts anderes, als dass sie hier in der tiefsten Provinz in einem Auto herumsaß und ihre Zeit verschwendete.
Romer schlug vor, eine Runde um den Parkplatz zu machen, sich die Beine zu vertreten, also stiegen sie aus. Er zündete sich eine Zigarette an, ohne ihr eine anzubieten. Schweigend drehten sie eine Runde, bis sie wieder vorm Auto standen.
»Wir gehören nicht zum SIS, genau genommen«, sagte er. »Mein Team, der AAS, ist offiziell Teil des GC&CS – The Government Code and Cipher School. Wir haben eine … eine etwas andere Aufgabenstellung.«
»Trotzdem ziehen wir alle an einem Strang.«
»Soll das ein Witz sein?«
Eine Weile saßen sie schweigend da, bis er wieder etwas sagte.
»Sie haben doch die Meldungen gesehen, die wir über die Unzufriedenheit in den oberen Rängen der deutschen Wehrmacht in Umlauf gebracht haben.«
Eva nickte. Sie konnte sich erinnern: Gerüchte über den bevorstehenden Rücktritt des einen oder anderen hohen Offiziers, Dementis, dass dieser oder jener hochrangige Offizier auf einen Provinzposten versetzt wurde und so fort.
Romer sprach weiter. »Ich glaube, dass dieses Treffen in Prenslo ganz allein ein Resultat unserer Agenturmeldungen ist. Es ist nur gerecht, dass ich erfahre, was hier passiert. Man hätte mich von vornherein informieren müssen.« Mit einer unwilligen Geste schnipste er seine Zigarette in die Büsche – ein bisschen fahrlässig, dachte Eva, dann überlegte sie, dass die Büsche um diese Jahreszeit feucht waren und kaum brennen würden. Er war wütend, stellte sie fest, jemand wollte sich auf seine Kosten profilieren.
»Weiß der SIS, dass wir in Prenslo sind?«
»Ich nehme stark an und hoffe, nicht.«
»Ich verstehe nicht.«
»Gut so.«
Als sie der verschlafene Bursche in die Zimmer gewiesen hatte, rief Romer sie zu sich. Er wohnte im Dachgeschoss und hatte einen guten Blick auf die einzige wichtige Straße von Prenslo. Romer reichte ihr einen Feldstecher und erläuterte das Panorama: Dort der deutsche Grenzübergang mit seiner schwarz-weiß gestreiften Schranke, dort die Bahnstrecke, dort, hundert Meter zurück, das holländische Zollhaus, das nur in den Sommermonaten besetzt war. Gegenüber lag das Gasthaus, Café Backus, ein großes zweistöckiges Gebäude mit zwei Benzinpumpen und einer Glasveranda und auffallend gestreiften Markisen – schokoladenbraun und orange –, die Schatten spenden sollten. Um den kiesbestreuten Vorplatz hatte man eine Hecke und ein paar angebundene Bäumchen gepflanzt, hinter dem Gasthaus befand sich ein unbefestigter Parkplatz mit Schaukeln und einer Wippe an der Seite, und dahinter begann ein Kiefernwald, in dem die Bahnstrecke verschwand. Café Backus war praktisch das letzte Haus von Prenslo vor der deutschen Grenze. Der eigentliche Ort erstreckte sich dahinter – Häuser, Läden, ein Postamt, ein kleines Rathaus mit großer Uhr und natürlich das Hotel
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