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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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gekannt, musst du wissen.« Er zeigte auf den Bildschirm.
    »Wirklich? Woher denn?«
    »Von den Pornos.«
    Ich stand auf und schaltete den Fernseher aus.
    »Willst du eine Tasse Tee?«, fragte ich. Wir gingen in die Küche, ich setzte Wasser auf.
    »Wie meinst du das mit den Pornos?«, fragte ich nebenher.
    »Ich war eine Zeit lang Porno-Darsteller. Andreas auch. Wir hingen viel zusammen rum.«
    »Du hast in Pornofilmen gespielt?«
    »Na ja, es war nur einer. Den kriegst du noch zu kaufen, in Amsterdam, in Schweden.« Er schien ziemlich stolz darauf zu sein.
    »Wie heißt er?«
    »Volcano of Cum.«
    »Toller Titel. Hat Andreas Baader auch mitgespielt?«
    »Nein. Dann ist er durchgedreht – Ulrike Meinhof, RAF, das Ende des Kapitalismus.«
    »Ich habe heute mit Karl-Heinz gesprochen.«
    Er wurde sehr still. »Hab ich dir erzählt, dass ich ihn aus meinem Leben gestrichen habe?«
    »Nein, hast du nicht.«
    »Ein totales Arschloch.«
    Er sagte das mit ungewohnter Erregung, nicht in dem sonst üblichen lässigen Ton. Ich schaute ihn mir an, wie er so dasaß und an Karl-Heinz dachte, und schloss mich den stummen Hasstiraden gegen seinen großen Bruder an. Er wickelte eine seiner langen Strähnen um den Finger und sah einen Moment lang so aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen – worauf ich beschloss, ihn ein paar Tage länger bei mir wohnen zu lassen. Ich wärmte die Kanne an, tat Tee hinein und goss auf.
    »Hast du das lange gemacht – das mit den Pornos?« Ich musste an sein nacktes Umherlaufen in der Wohnung denken.
    »Nein, ich hab dann aufgehört. Ich kriegte gewaltige Probleme.«
    »Womit? Mit der Pornographie? Ideologisch, meinst du?«
    »Nein, nein. Porno war toll. Find ich noch immer. Ich liebe Porno. Nein, ich kriegte gewaltige Probleme mit meinem Schwanz.« Er zeigte nach unten.
    »Ah … verstehe.«
    Wieder sein verschlagenes Grinsen. »Er wollte nicht so, wie ich wollte, du verstehst?« Er wurde nachdenklich. »Sagt man auch ›tail‹ auf Englisch?«
    »Nein, normalerweise nicht. Wir sagen ›prick‹ oder ›cock‹. Oder ›dick‹.«
    »Schon klar. Aber sagt wirklich niemand ›tail‹? So als Slang?«
    »Nein. Das sagt keiner.«
    »Schwanz – tail: Ich finde, ›my tail‹ klingt irgendwie besser als ›my dick‹.«
    Ich war nicht scharf auf diese Art von Unterhaltung – mit Ludger zu schweinigeln. Der Tee war fertig, und ich goss ihm ein. »Nur zu, Ludger«, sagte ich fröhlich, »sag einfach › tail‹ .Vielleicht setzt es sich durch. Ich gehe jetzt ins Bad, wir sehen uns morgen früh.«
    Ich nahm die Teekanne, die Milchflasche und meine Tasse mit ins Badezimmer, stellte alles sorgfältig auf dem Wannenrand ab und drehte die Wasserhähne auf. Im heißen Wasser zu liegen und heißen Tee zu trinken ist die einzige sichere Methode, mich zu entspannen, wenn es in meinem Kopf drunter und drüber geht.
    Ich schloss die Tür ab, zog mich aus, stieg ins warme Wasser und schlürfte meinen Tee, verbannte alle Gedanken und Erinnerungen an Karl-Heinz und unsere gemeinsamen Jahre aus meinem Kopf. Stattdessen dachte ich an meine Mutter und die Ereignisse von Prenslo, an die Dinge, die sie an jenem Nachmittag an der deutsch-holländischen Grenze gesehen und erlebt hatte. Mir kam das Ganze nach wie vor unwirklich vor. Noch immer konnte ich meine Mutter nicht mit Eva Delektorskaja zusammenbringen – und umgekehrt … Das Leben ist eben seltsam, dachte ich. Es gibt nichts, dessen man wirklich sicher sein kann. Du denkst, alles ist normal und geht seinen gewöhnlichen Gang – und dann plötzlich wird es auf den Kopf gestellt. Ich drehte mich zur Seite, um Tee nachzuschenken, und kippte die Kanne um, wobei ich mir den Nacken und die linke Schulter verbrühte. Jochen wurde von meinem Schrei geweckt, und Ludger klopfte an die Tür.

Die Geschichte der Eva Delektorskaja
London 1940
    Es war schon August, als Eva Delektorskaja endlich zum Rapport über den Prenslo-Zwischenfall einbestellt wurde. Sie fuhr zur Arbeit wie gewohnt, verließ ihre Wohnung in Bayswater und bestieg den Bus, der sie zur Fleet Street brachte. Sie saß auf dem Oberdeck, rauchte die erste Zigarette des Tages und blickte hinaus auf die sonnigen Wiesen des Hyde Park, bewunderte die hübschen silbrigen Sperrballons, die am blassblauen Himmel schwebten, und fragte sich, ob man sie nicht dort lassen sollte, wenn der Krieg zu Ende ging – falls das jemals geschah. Besser als irgendein Obelisk oder Kriegerdenkmal, dachte sie und stellte sich

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