Ruhelos
gewaltig nach Veilchen roch. Sein ganzes Büro war sommers wie winters von Veilchenduft durchströmt. Er trug maßgeschneiderte Tweedanzüge und derbe orangebraune Schuhe; sein weitläufiges Arbeitszimmer im College war eingerichtet wie ein Landhaus: tiefe Sofas, Perserteppiche, mehrere interessante Bilder (ein kleiner Peploe, eine Zeichnung von Ben Nicholson, ein großer, düsterer Apfelbaum von Alan Reynolds) und, versteckt in Glasvitrinen, etliche hübsche Staffordshire-Figuren und auch ein paar Bücher. Man hätte nicht geglaubt, sich im Studierzimmer eines Oxford-Dons zu befinden.
Er kam von der Hausbar herüber, in jeder Hand ein Glas, setzte das meine auf einem Tischchen ab und ließ sich behutsam in den Sessel gegenüber sinken. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, fiel mir von neuem auf, dass er eigentlich ziemlich fett war, aber seine Größe, eine gewisse Gewandtheit, eine fast tänzerische Körperbeherrschung sowie seine exzellent geschnittenen Anzüge bewirkten, dass man es eine ganze Weile übersah.
»Ein sehr hübsches Kleid haben Sie da an«, sagte er galant, »steht Ihnen bis aufs i-Tüpfelchen. Schade, das mit dem Verband, aber er fällt kaum auf, das versichere ich Ihnen.«
Am Abend zuvor hatte ich mich in der Badewanne böse am Nacken verbrüht, und ich war gezwungen, eins meiner leichten Sommerkleider mit Spaghettiträgern anzuziehen, damit der Stoff nicht auf der Brandwunde rieb, die jetzt durch eine Mullkompresse von der Größe einer zusammengefalteten Serviette (Veronicas Werk) bedeckt war, und zwar im Bereich des Nackens und der linken Schulter. Ich hatte meine Zweifel, ob es gut war, nach all den starken Schmerzmitteln, die mir Veronica eingeflößt hatte, Whisky zu trinken, aber sie schienen zu wirken. Ich spürte keine Schmerzen, trotzdem bewegte ich mich sehr vorsichtig »Äußerst hübsch«, wiederholte Bobbie und vermied es, auf meine Brüste zu schauen. »Und, wenn ich das bemerken darf, bei dieser infernalischen Hitze höchst komfortabel. Wie auch immer: Slangevar!« Er prostete mir zu und nahm drei große Schlucke Whisky – wie ein Mann, der vor Durst fast umkam. Ich trank auch, ein wenig zurückhaltender, und doch brannte mir der Whisky in der Kehle und im Magen.
»Könnte ich ein bisschen mehr Wasser bekommen?«, fragte ich. »Nein, lassen Sie, ich gehe selbst.« Bobbie ruckte in seinem Sessel umher, als ich die Bitte äußerte, kam aber nicht hoch, also überquerte ich mehrere intensiv gemusterte Läufer und steuerte die Hausbar an, auf der sich die Flaschen zu einem kleinen Manhattan zusammendrängten. Pastis, Ouzo, Grappa, Sliwowitz – alle europäischen Schnapssorten sind vertreten, dachte ich, als ich mein Glas mit kaltem Wasser aus der Karaffe auffüllte.
»Ich fürchte, ich habe Ihnen nichts anzubieten«, sagte ich über meine verbrühte Schulter und den Verband hinweg. »Ich bin ziemlich stecken geblieben im Jahr 1923, beim Hitlerputsch. Ich krieg das einfach nicht zusammen: die Freikorps, die BVP, all die Intrigen der Knilling-Regierung, die Kontroverse Schweyer-Wutzlhofer, Krausnecks Rücktritt und so weiter.« Es war alles geschwindelt, aber ich glaubte, ihn damit beeindrucken zu können.
»Jaaa … knifflig«, sagte er und wirkte plötzlich ein wenig in die Enge getrieben. »Es ist aber auch kompliziert. Hmm. Das verstehe ich schon … Trotzdem. Am wichtigsten ist, dass wir endlich mal wieder zusammenkommen. Ich muss Kurzbeurteilungen über meine Doktoranden schreiben – langweilig, aber Vorschrift. Der Hitlerputsch, sagen Sie. Ich suche ein paar Bücher heraus und schicke Ihnen eine Leseliste. Eine kurze, keine Sorge.«
Er gluckste, als ich mich wieder hinsetzte.
»Ich bin entzückt, Sie zu sehen, Ruth«, sagte er. »Sie sehen sehr fraulich und sommerlich aus, muss ich schon sagen. Wie geht’s dem kleinen Johannes?«
Wir sprachen eine Weile über Jochen. Bobbie war mit einer Frau verheiratet, die er »Lady Ursula« nannte, hatte zwei verheiratete Töchter – »Enkel sind im Anmarsch, wie ich höre; spätestens dann begehe ich Selbstmord« – und bewohnte mit Lady Ursula eine riesige viktorianische Backsteinvilla in der Woodstock Road, nicht weit von Mr Scott, unserem Zahnarzt. Bobbie hatte ein Buch veröffentlicht, im Jahr 1948, mit dem Titel Germany: Yesterday, Today and Tomorrow, das ich einmal aus Interesse in der Bodleian Library bestellt hatte. Es war 140 Seiten lang, auf schlechtem Papier gedruckt und hatte kein Register, und soviel ich sehen konnte, war
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