Ruhelos
von Redseligkeit noch tiefer hineingeritten zu haben. In London war es kinderleicht gewesen, sich bedeckt zu halten, aber hier in New York fiel es viel schwerer, sich regelmäßig und unbeobachtet zu treffen. Hier waren sie – die Briten – viel auffälliger und wurden darüber hinaus selbst zum Gegenstand der Neugier, weil sie ihren Krieg gegen die Nazis führten – seit Mai dieses Jahres mit ihren neuen Verbündeten, den Russen –, während Amerika nur besorgt zuschaute und ansonsten weitermachte wie zuvor.
»Wie stehen die Dinge insgesamt?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln. Sie säbelte an ihrem Steak, der Heißhunger war ihr vergangen. Angus kaute, dachte angestrengt nach und setzte dann eine besorgte Miene auf, wie jemand, der zögert, eine schlechte Nachricht zu überbringen. »Die Dinge«, begann er, griff nach der Serviette und tupfte sich mit gezierter Geste den Mund. »Die Dinge stehen in etwa so, wie sie immer standen. Ich glaube nicht, dass etwas passieren wird, um die Wahrheit zu sagen.« Er sprach über Roosevelt, der nicht wage, den Kriegseintritt im Kongress zur Sprache zu bringen, weil er absolut sicher sei, die Abstimmung zu verlieren. Also müsse alles vertraulich bleiben, im Geheimen betrieben werden, hinter dem Rücken der Amerikaner. Die Lobby der Isolationisten sei unglaublich stark – wirklich unglaublich. »Haltet unsere Jungs aus dem europäischen Schlamassel heraus«, sagte er und versuchte vergeblich, den amerikanischen Akzent nachzuahmen. »Sie liefern uns Waffen und helfen, so gut sie können – solange wir durchhalten. Aber Sie wissen ja …« Er machte sich wieder über sein Steak her.
Sie fühlte sich plötzlich ohnmächtig, beinahe demoralisiert durch diese Sätze und fragte sich, ob das wirklich stimmte, ob es dann noch Sinn hatte, all diese Aktivitäten fortzusetzen, wenn sie nicht einmal ausreichten, um Roosevelt zum Handeln zu bewegen – all die Radiosender, Zeitungsredaktionen, Presseagenturen, die sie betrieben, all die Storys und Meldungen und Meinungen, die sie verbreiteten, all die Experten und berühmten Rundfunkmoderatoren, die sie bemühten, und das nur, um Amerika zum Kriegseintritt zu bewegen, zu drängen, zu überreden, zu überzeugen.
»Wir müssen einfach unser Bestes geben, Eve«, sagte Angus fröhlich, als hätte er gemerkt, wie sein Zynismus auf sie wirkte, und wollte nun dagegenhalten. »Wie es im Moment aussieht, sind die Yankees höchstens durch eine einseitige Kriegserklärung von Adolf zum Mitmachen zu bewegen.« Er lächelte verzückt – etwa wie nach einer riesigen Gehaltserhöhung. »Machen wir uns keine Illusionen.« Er senkte die Stimme und blickte sich vorsichtig um. »Wir sind hier nicht unbedingt beliebt. Viele hassen uns regelrecht. Uns und auch FDR – er muss sehr, sehr vorsichtig sein.«
»Er ist doch gerade wiedergewählt worden. In eine dritte Amtszeit – oder etwa nicht?«
»Klar. Weil er versprochen hat, Amerika aus dem Krieg herauszuhalten.«
Sie seufzte. Sollte sie sich jetzt die Laune verderben lassen? Der Tag hatte so gut angefangen. »Romer sagt, es gibt interessante Entwicklungen in Südamerika.«
»Sagt er das?« Angus tat unbeteiligt, aber Eva sah, wie er aufhorchte. »Hat er Ihnen Einzelheiten mitgeteilt?«
»Nein, nichts.« Schon wieder ein Ausrutscher. Was war heute mit ihr los? Als hätte sie ihre Sicherheit, ihre Balance verloren. Am Ende waren sie alle nur Krähen, die hinter Aas her waren.
»Gönnen wir uns noch einen Cocktail«, sagte Angus. »Essen, trinken, fröhlich sein – was will man mehr.«
Aber Eva fühlte sich seltsam niedergedrückt nach ihrem Lunch mit Angus und gequält von der Befürchtung, sich verraten zu haben – mit winzigen Bemerkungen, Zwischentönen, Hinweisen auf sie und Romer, die jemand wie Angus mit seinem wachen Verstand ohne weiteres in ein plausibles Bild umsetzen konnte. Als sie zum Büro von Transoceanic zurücklief und die großen Avenues überquerte – Park, Madison, Fifth –, in die einzigartigen Straßen-Schluchten hineinsah, um sich herum die Hast, das Stimmengewirr, den Lärm dieser selbstbewussten Stadt, dachte sie, dass auch sie, wäre sie eine junge Amerikanerin, eine junge New Yorkerin mit gesichertem Job und besten Chancen, trotz aller Sympathien für die Briten und ihren Überlebenskampf vielleicht ebenfalls sagen würde: Warum soll ich das alles opfern, das Leben unserer jungen Männer aufs Spiel setzen und mich für einen schmutzigen und vernichtenden
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