Ruhelos
Pistole in der Hand, der Schlüssel im Schloss, Fenster verriegelt. Aber wenn alles nach einem blitzsauberen Selbstmord aussieht, ist gewöhnlich etwas faul.«
Warum erzählt er mir das?, dachte Eva.
»Seit 1938 waren sie hinter ihm her«, fuhr Morris fort. »Und sie haben ihn erwischt. Zu blöd, dass sie nicht noch eine Woche gewartet haben …« Seine Miene heuchelte Bedauern. »Ich hatte mich so auf das Treffen mit Mr Nikitsch gefreut.«
Eva sagte nichts. Das war ihr alles ganz neu; sie fragte sich, ob Romer mit diesem Treffen zu tun hatte. Bisher hatte sie immer gemeint, Morris und sie seien nur mit den Angelegenheiten von Transoceanic befasst. Aber was weiß ich schon?, dachte sie dann.
»Haben die TASS-Leute nicht irgendwelche neuen Gesichter in der Stadt erwähnt?«
»Nicht mir gegenüber.«
»Tu mir einen Gefallen, Eve – telefonier ein bisschen mit deinen russischen Freunden und hör dir an, was sie über den Tod von Nikitsch zu sagen haben.«
»Einverstanden. Aber sie sind nur Journalisten.«
»Niemand ist ›nur‹ das eine oder andere.«
»Romers Regel.«
Er schnipste mit den Fingern und stand auf. »Deine Story über deutsche Seemanöver vor Buenos Aires macht sich sehr gut. Ganz Südamerika ist empört, überall Protest.«
»Schön«, sagte sie matt. »Jeder kleine Schritt ist wertvoll.«
»Kopf hoch, Eve. Übrigens – unser aller Herr und Meister will dich sehen. Eldorado Diner, in fünfzehn Minuten.«
Eva wartete eine Stunde im Diner, bis Romer auftauchte. Sie fand diese dienstlichen Treffen sehr seltsam: Sie wollte ihn küssen, sein Gesicht berühren, seine Hände halten, aber sie mussten sich an die steifen Umgangsformen halten.
»Tut mir leid, die Verspätung«, sagte er und setzte sich ihr gegenüber. »Ich glaube, es war jemand hinter mir her, zum ersten Mal in New York. Vielleicht sogar zwei. Ich musste in den Park, um sie loszuwerden.«
»Wer würde denn jemanden auf dich ansetzen?« Sie streckte das Bein unter dem Tisch und streichelte mit der Schuhspitze seine Wade.
»Das FBI.« Romer lächelte sie an. »Ich glaube, Hoover macht sich Sorgen wegen unseres Wachstums. Du hast ja die BSC gesehen. Ein Frankenstein-Monster. Und lass das bitte, sonst werde ich schwach.«
Er bestellte Kaffee, Eva noch eine Pepsi-Cola.
»Ich habe Arbeit für dich«, sagte er.
Sie flüsterte hinter vorgehaltener Hand: »Lucas … Ich will dich sehen.«
Romer blickte sie unverwandt an, sie zog ihr Bein zurück. »Ich möchte, dass du nach Washington fährst«, sagte er. »Ich möchte, dass du einen Mann kennenlernst. Er heißt Mason Harding und arbeitet in Harry Hopkins’ Presseabteilung.«
Sie wusste, wer Harry Hopkins war – Roosevelts rechte Hand. Eingesetzt als Handelsminister, in Wirklichkeit FDRs Berater, Mittelsmann, Macher und Vertrauter. Mit ziemlicher Sicherheit der zweitwichtigste Mann in Amerika – zumindest, was die Briten betraf.
»Ich soll also diesen Mason Harding kennenlernen. Warum?«
»Wende dich an die Presseabteilung. Sage, du möchtest Hopkins für Transoceanic interviewen. Wahrscheinlich lehnen sie ab, aber wer weiß? Du könntest auch Hopkins treffen. Aber die Hauptsache ist, du lernst Harding kennen.«
»Und dann?«
»Das werde ich dir sagen.«
Da war es wieder, dieses kribbelnde Gefühl der Erwartung, wie in Prenslo, als Romer sie zum Gasthaus beordert hatte. Ein seltsamer Gedanke befiel sie: Vielleicht war es meine Berufung, Spionin zu werden?
»Wann reise ich ab?«
»Morgen. Und heute machst du deine Termine.« Er reichte ihr einen Papierschnipsel mit einer Washingtoner Telefonnummer. »Das ist Hardings persönlicher Anschluss. Such dir ein nettes Hotel. Vielleicht komme ich kurz auf Besuch. Washington ist eine interessante Stadt.«
Die Erwähnung des Namens erinnerte sie an Morris’ Fragen.
»Weißt du etwas über diesen Nikitsch-Mord?«
Romer stutzte kaum merklich. »Wer hat dir davon erzählt?«
»Es stand in der Washington Post. Morris hat mich danach gefragt – ob meine Freunde bei der TASS etwas dazu sagen können.«
»Was hat Morris damit zu tun?«
»Weiß ich nicht.«
Sie sah förmlich, wie es in ihm arbeitete. Er war auf irgendeine Verbindung gestoßen, einen Zusammenhang, der ihm seltsam vorkam. Sein Gesicht veränderte sich; er spitzte den Mund und zog dann eine Art Grimasse.
»Warum sollte sich Morris Devereux für einen NKWD-Mord interessieren?«
»Also war es wirklich Mord – kein Selbstmord.« Sie zuckte die Schultern. »Er
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