Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
Vom Netzwerk:
schaute sie durch das Heckfenster und sah Romer auf das Portal zugehen. Bei seinem Anblick wurde sie von einem warmen Gefühl durchströmt. Sie verfolgte, wie er sich, Passanten und Touristen ausweichend, mit flinken Schritten voranbewegte. Das ist Romer, wie er sich für alle anderen darstellt, dachte sie ein wenig versponnen – viel beschäftigt, immer in Eile, mit Anzug und Aktentasche, auf das Portal eines Wolkenkratzers zusteuernd. Sie aber genoss das Privileg, ihn, ihren fremdartigen Liebhaber, ganz intim, ganz aus der Nähe zu kennen, und für einen kurzen Moment sonnte sie sich in diesem Gefühl. Lucas Romer. Wer hätte das gedacht?
    Angus Woolf hatte ein Treffen in einem Restaurant an der Ecke Lexington Avenue und 63rd Street arrangiert. Sie kam zu früh und bestellte einen trockenen Martini. Es gab den üblichen kleinen Auflauf an der Tür, als Angus eintraf: Stühle wurden gerückt, Kellner verharrten, als Angus seinen verkrümmten Körper mit den sperrigen Krücken durch den Eingang zwängte und zielstrebig auf den Tisch zusteuerte, an dem Eva saß. Alle helfenden Gesten der Kellner zurückweisend, schwang er sich mit viel Ächzen und Keuchen auf den Stuhl und hängte die Krücken behutsam über die Lehne des Nachbarstuhls.
    »Eve, meine Teure, Sie sehen wieder blendend aus.«
    Albernerweise wurde Eva rot und murmelte etwas von einer sich anbahnenden Erkältung.
    »Unsinn«, sagte Angus. »Sie sehen einfach prachtvoll aus.«
    Sein winziger verkrüppelter Körper war von einem schönen, offenen Gesicht geziert, und seine Spezialität waren anmutig gedrechselte Komplimente, die er stets mit einem kurzatmigen Lispeln vorbrachte, als wäre die Anstrengung, seine Lunge aufzupumpen und zu entleeren, ebenfalls eine Folge seiner Behinderung. Er zündete eine Zigarette an und bestellte einen Drink.
    »Zur Feier des Tages«, sagte er.
    »Ach ja? Machen wir plötzlich Fortschritte?«
    »So weit würde ich nicht gehen«, erwiderte er. »Aber wir haben einen Kongress von America First in Philadelphia platzen lassen. Zweitausend Fotos von Herrn Hitler wurden im Organisationsbüro gefunden. Wütende Dementis, die Bilder seien ihnen untergeschoben worden – aber trotzdem, ein kleiner Sieg. Alles geht heute noch über den Ticker von ONA, falls ihr die Sache aufgreifen wollt.«
    Eva nickte, wahrscheinlich würden sie das tun. Angus fragte, wie es ihr bei Transatlantic erging, und sie plauderten zwanglos über die Arbeit. Eva gestand ihm, dass das Echo des Angriffs auf die Kearny eine wirkliche Enttäuschung gewesen sei: Alle bei Transatlantic hatten geglaubt, diese Sache sei wie gerufen gekommen und würde einen viel größeren Schock auslösen. Sie erzählte Angus von ihren Folgeberichten, die noch ein wenig mehr Empörung schüren sollten. »Aber niemand scheint sich aufzuregen«, sagte sie. »Deutsches U-Boot tötet elf neutrale amerikanische Matrosen. Na und?«
    »Die wollen sich einfach nicht in unseren ekelhaften europäischen Krieg hineinziehen lassen, meine Teure. Damit müssen Sie rechnen.«
    Sie bestellten – noch immer ausgehungerte Briten – T-Bone-Steaks und Pommes frites und redeten diskret über Interventionisten und Isolationisten, über Father Coughlin und das America First Committee, den Druck aus London, Roosevelts quälende Untätigkeit und Ähnliches.
    »Und was treibt unser geschätzter Chef? Haben Sie ihn gesehen?«, fragte Angus.
    »Heute Morgen«, sagte Eva unbedacht. »Auf dem Weg in die Zentrale.«
    »Und ich dachte, er ist gar nicht in der Stadt.«
    »Er musste zu irgendeiner großen Sitzung«, sagte sie, ohne Angus’ Anspielung zu bemerken.
    »Ich habe den Eindruck, dass sie nicht sehr zufrieden mit ihm sind«, sagte er.
    »Das sind sie nie«, erwiderte sie, wieder ohne nachzudenken. »Genau so mag er es. Sie sehen nicht, dass in seiner Außenseiterrolle seine Stärke liegt.«
    »Das klingt sehr loyal – ich bin beeindruckt«, bemerkte Angus ein wenig zu hintersinnig.
    Eva bereute ihre Worte, kaum hatte sie sie ausgesprochen, und in ihrer Verunsicherung redete sie weiter, statt einfach den Mund zu halten.
    »Ich meine nur, dass er die Herausforderung liebt, verstehen Sie, dass er gern verquer auftritt, so dass er sich jedes Mal von neuem bewähren muss. Auf diese Weise funktioniert er besser.«
    »Hab schon verstanden, Eve. Nur ruhig. Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen. Ich bin ganz Ihrer Meinung.«
    Aber sie fragte sich, ob Angus etwas ahnte, und befürchtete, sich mit ihrem Anfall

Weitere Kostenlose Bücher