Ruhelos
da, Hamid ließ die Augen nicht von mir.
»Was sollen wir jetzt machen?«, sagte ich schließlich. »Wollen Sie die Stunde fortsetzen?«
»Wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Sehen wir, wie es klappt. Möchten Sie eine Tasse Tee? Ich brauche dringend eine Tasse Tee.«
Wie aufs Stichwort klopfte es an die Tür.
Ilse steckte den Kopf herein. »Sorry, Ruth. Wo ist Tee? Ich suche, aber Ludger schläft noch.«
Wir gingen in die Küche, und ich machte eine Kanne Tee für Hamid, Ilse, mich und, falls er denn aufwachte, den schlafenden Ludger.
Bobbie York reagierte mit gespielter Überraschung – die Hand an der Stirn, taumelte er ein paar Schritte rückwärts –, als ich unangemeldet bei ihm auftauchte.
»Was verschafft mir diese Ehre?«, fragte er, als er mir einen seiner »winzigen« Whiskys einschenkte. »Zweimal in einer Woche. Ich könnte – zum Beispiel was? – einen Jig tanzen, nackt über den Hof laufen, eine Kuh schlachten oder so was.«
»Ich brauche Ihren Rat«, sagte ich so einschmeichelnd wie nur möglich.
»Wo Sie Ihre Dissertation publizieren können?«
»Eher nicht. Sondern wie man ein Treffen mit Lord Mansfield of Hampton Cleeve arrangiert.«
»Ah, die Sache spitzt sich zu. Schreiben Sie einfach einen Brief und bitten Sie um einen Termin.«
»So läuft das nicht, Bobbie. Es muss einen Grund geben. Er ist pensioniert, über siebzig und lebt, wie es aussieht, sehr zurückgezogen. Warum sollte er sich mit mir treffen, wenn er mich gar nicht kennt?«
»Das leuchtet ein.« Bobbie reichte mir das Glas und setzte sich gemächlich hin. »Was macht übrigens Ihre Verbrennung?«
»Schon viel besser, vielen Dank.«
»Nun, warum sagen Sie nicht einfach, Sie schreiben einen Essay – über eine Sache, mit der er zu tun hatte, Verlagswesen, Journalismus.«
»Oder was er im Krieg gemacht hat.«
»Oder was er im Krieg gemacht hat. Das wäre noch spannender.« Bobbie war kein Trottel. »Ich vermute, dass da Ihr Interesse liegt. Schließlich sind Sie Historikerin. Sagen Sie ihm, Sie schreiben ein Buch und wollen ihn interviewen.«
Ich überlegte. »Oder einen Artikel.«
»Ja – das ist viel besser. Appellieren Sie an seine Eitelkeit. Sagen Sie, Sie schreiben für den Telegraph oder die Times. Das könnte ihn aus seinem Bau locken.«
Auf dem Heimweg hielt ich am Kiosk und kaufte mir alle wichtigen Zeitungen, um mein Gedächtnis aufzufrischen. Ich überlegte: Kann man sagen, ich schreibe einen Artikel für die Times oder den Telegraph? Ja, sagte ich mir, das ist nicht gelogen – jeder kann so einen Artikel schreiben, das heißt ja nicht, dass sie ihn nehmen; es ist nur dann eine Lüge, wenn man behauptet, man hätte den Auftrag dazu. Ich griff erst nach dem Telegraph, weil ich dachte, dass ihn ein Lord am ehesten akzeptieren würde, aber dann kaufte ich auch die anderen – es war lange her, dass ich einen Stapel britischer Tageszeitungen durchgeackert hatte. Beim Suchen sah ich eine Frankfurter Allgemeine. Auf dem Titelblatt das Foto von Baader, das ich im Fernsehen gesehen hatte – der Mann, den Ludger angeblich aus seiner Porno-Karriere kannte. Die Schlagzeile bezog sich auf den Baader-Meinhof-Prozess in Stammheim. 4. Juli – der Prozess ging in seinen hundertzwanzigsten Tag. Ich legte die Zeitung auf meinen Stapel. Erst tauchte Ludger bei mir auf, dann auch noch diese seltsame Ilse – ich hatte das Gefühl, dass ich mich mal wieder mit dem deutschen Terrorismus befassen musste. Ich fuhr mit meinem Lesestoff nach Hause, und am Abend, nachdem ich Jochen zu Bett gebracht hatte (Ludger und Ilse waren in ein Pub gegangen), schrieb ich einen Brief an Lucas Romer, Baron Mansfield of Hampton Cleeve c/o House of Lords, mit der Bitte um ein Interview für einen Artikel über den britischen Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg, den ich für den Daily Telegraph schrieb. Es fühlte sich seltsam an, »Sehr geehrter Lord Mansfield« zu schreiben, einen Brief an den ehemaligen Liebhaber meiner Mutter zu richten. Ich drückte mich knapp und präzise aus – mal sehen, wie er reagierte, wenn überhaupt.
Die Geschichte der Eva Delektorskaja
Washington, D. C, 1941
Eva Delektorskaja rief Romer in New York an.
»Ich bin auf Gold gestoßen«, sagte sie und legte auf.
Ein Treffen mit Mason Harding zu vereinbaren war sehr einfach gewesen. Eva nahm den Zug von New York nach Washington und stieg im London Hall Apartment Hotel auf der Ecke 11th und M Street ab. Ihr fiel auf, dass sie eine unbewusste Vorliebe für
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