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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Hotels hatte, die irgendwie an England erinnerten. Wenn das zur Gewohnheit wurde, so dachte sie sich, war es an der Zeit, es zu ändern – auch das eine Romer-Regel –, aber ihr gefiel das Einzimmerapartment mit der winzigen Kochnische, dem Eisschrank und der blitzsauberen Dusche. Sie buchte für zwei Wochen und rief, kaum hatte sie ausgepackt, die Nummer an, die Romer ihr gegeben hatte.
    »Mason Harding.«
    Sie stellte sich als Mitarbeiterin von Transoceanic Press, New York, vor und sagte, sie hätte gern ein Interview mit Mr Hopkins.
    »Mr Hopkins ist leider erkrankt«, sagte Harding und fragte nach: »Sind Sie Engländerin?«
    »Gewissermaßen. Halbrussin.«
    »Klingt nach einer gefährlichen Mischung.«
    »Darf ich Sie in Ihrem Büro aufsuchen? Vielleicht finden sich auch andere Themen – Transoceanic hat eine gewaltige Leserschaft in Süd- und Lateinamerika.«
    Harding zeigte sich sehr zugänglich – er schlug den späten Nachmittag des Folgetags vor.
     
    Mason Harding war noch jung, Anfang dreißig, schätzte Eva. Sein dichtes braunes Haar, kurz geschnitten und streng gescheitelt, erinnerte an einen Schuljungen. Er setzte schon Gewicht an, seine ebenmäßigen Züge wirkten rundlich um Wangen und Kinnpartie. Er trug einen blassbraunen Anzug aus Leinenkrepp, und auf seinem Schreibtisch stand ein Schild, das die Aufschrift »Mason Harding III.« trug.
    »So«, sagte er, bot ihr einen Stuhl an und musterte sie von oben bis unten. »Transoceanic Press – ich kann nicht behaupten, schon von Ihnen gehört zu haben.«
    Sie gab ihm einen groben Überblick über die Reichweite und die Leserschaft von Transoceanic; er nickte und schien es ihr abzunehmen. Sie sagte, sie sei nach Washington entsandt worden, um maßgebliche Politiker der neuen Regierung zu interviewen.
    »Verstehe. Wo sind Sie abgestiegen?«
    Sie nannte das Hotel. Er stellte ein paar Fragen über London, den Krieg und ob sie die Luftangriffe erlebt hatte. Dann schaute er auf die Uhr.
    »Wie wär’s mit einem Drink? Ich glaube, wir machen hier neuerdings um siebzehn Uhr dicht.«
    Sie verließen das Handelsministerium, ein klassizistisches Monstrum von Gebäude, mit einer Fassade, die eher einem Museum als einem Ministerium entsprach, und liefen die 15th Street hinauf bis zu einer dunklen Bar, die Mason – »nennen Sie mich Mason« – kannte und wo sie, nachdem sie Platz genommen hatten, beide einen Whisky-Punsch bestellten – ein Vorschlag von Mason. Es war ein kühler Tag; sie konnten eine Aufwärmung gebrauchen.
    Pflichtschuldig erkundigte sich Eva nach Hopkins, und Mason teilte ihr ein paar Fakten mit, die wenig besagten – bis auf die Mitteilung, dass man Hopkins vor ein paar Jahren wegen Magenkrebs »den halben Magen entfernt« hatte. Mason war taktvoll genug zu bemerken, dass sein Ministerium und die Roosevelt-Regierung voller Bewunderung für die britische Standfestigkeit und Tapferkeit sei.
    »Sie müssen verstehen, Eve«, sagte er beim zweiten Whisky-Punsch, »dass es unglaublich schwer für Hopkins und FDR ist, noch mehr zu tun. Wenn es nach uns ginge, wären wir an Ihrer Seite, Schulter an Schulter, gegen diese verdammten Nazis. Möchten Sie noch einen? Kellner! Sir?« Er winkte einen weiteren Drink herbei. »Aber vor einem Kriegseintritt müssen wir die Kongresswahl gewinnen. Roosevelt weiß, dass er die nicht gewinnen kann. Nicht jetzt. Erst muss was passieren, was die Einstellung der Leute ändert. Waren Sie schon mal bei einer Kundgebung von America First?«
    Eva nickte. Sie erinnerte sich gut: Ein irisch-amerikanischer Priester hatte die Menge mit Brandreden gegen die britische Tücke und Niedertracht aufgepeitscht. Achtzig Prozent der Amerikaner seien gegen den Kriegseintritt. Mit der Beteiligung am letzten Krieg habe Amerika nichts gewonnen außer der Großen Depression. Die Vereinigten Staaten seien vor Angriffen sicher – es gebe keinen Grund, England erneut zu helfen. England sei verloren, am Ende: Verschwenden wir kein amerikanisches Geld und keine amerikanischen Soldaten darauf, ihnen die Haut zu retten. Und so weiter – unter Gejohle und massivem Beifall.
    »Nun, da sehen Sie das Problem«, sagte Mason in resigniertem Ton, wie ein Arzt, der eine unheilbare Krankheit konstatiert. »Ich will kein Nazi-Europa, weiß Gott nicht. Denn dann sind wir die Nächsten auf der Liste. Nur wird diese Sicht von kaum jemandem geteilt.«
    Im weiteren Verlauf der Unterhaltung stellte sich heraus, dass Mason verheiratet war, zwei Kinder

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