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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Lehmhütten der Bauern kamen die Tankstellen und die Autohändler, dann die schmucken Vororte, dann die Fuhrhöfe, die Getreidesilos und Mühlen. Jede Stadt hatte ihre breite Main Street mit protzigen Ladenfronten und schreienden Neonreklamen, Markisen und schattigen Gehwegen, staubigen Autos, die zu beiden Seiten der Straße quer geparkt waren. Las Cruces sah nicht anders aus; es gab ein Woolworth, einen Juwelierladen mit einem blinkenden, fußballgroßen Plastikedelstein über dem Eingang, Reklamen für Florsheim-Schuhe, Coca-Cola, Liberty-Möbel, einen Drugstore, eine Bank und am Ende der Straße, gegenüber einem kleinen Park mit schattenspendenden Pappeln, die kahle Betonfassade des Alamogordo Inn.
    Sie parkte auf dem Platz hinter dem Hotel und betrat die Lobby. Ein paar Deckenventilatoren fächelten die Luft, links ein abgewetztes Ledersofa, den Holzfußboden bedeckten abgetretene indianische Läufer. Ein Kaktus voller Spinnweben stand in einem Topf mit Sand, in dem Zigarettenkippen steckten, darüber ein Schild mit der Aufschrift: »Herumlungern verboten. Elektrisch Licht in allen Zimmern.« Der Portier, ein junger Mensch mit schwachem Kinn und einem Hemdkragen, der drei Nummern zu weit für seinen Hals war, musterte sie neugierig, als sie nach einem Zimmer fragte.
    »Sind Sie sicher, dass Sie in diesem Hotel wohnen wollen?«, fragte er schüchtern. »Es gibt viel nettere außerhalb der Stadt.«
    »Ich bin zufrieden, vielen Dank«, sagte sie. »Wo bekomme ich etwas zu essen?«
    »Nach rechts geht’s zum Restaurant, nach links zum Imbiss«, sagte er. Sie entschied sich für den Imbiss und bestellte einen Hamburger. Das Lokal war fast leer; zwei grauhaarige Damen standen am Wasserspender, ein Indianer mit einem melancholischen Gesicht von strenger Schönheit fegte den Boden. Eva aß ihren Hamburger und trank eine Coca-Cola. Sie verspürte eine seltsame Form der Trägheit, eine fast greifbare Schwere, als hätte die Erde ihre Umdrehungen eingestellt, als würde die Zeit nur noch vom Fegegeräusch des Indianers markiert. Irgendwo in einem Hinterzimmer kam Jazz aus einem Radio, und Eva dachte: Was mache ich hier? Welcher speziellen Bestimmung folge ich? Ihr war, als könnte sie für alle Ewigkeit in diesem Imbisslokal von Las Cruces sitzen bleiben – der Indianer würde den Fußboden fegen, ihr Hamburger würde halb gegessen bleiben, die dünnen Jazzklänge würden immer weitergehen. Sie überließ sich dieser Stimmung, steigerte sich hinein, fand diesen spätnachmittäglichen Stillstand seltsam beruhigend, denn was immer sie als Nächstes tat, würde eine neue Kette von Ereignissen in Gang setzen, die sich ihrer Kontrolle entzogen. Lieber genoss sie diese seltenen Momente der Stille, in denen unangefochten die Apathie regierte.
    Sie ging zum Telefon des Imbisslokals, in eine kleine Zelle neben einem Regal voller Büchsen, und rief Transoceanic an. Devereux meldete sich.
    »Kann ich den Chef sprechen?«
    »Leider nein. Aber ich habe ihn gestern Abend gesprochen.«
    »Und was hat er gesagt?« Aus irgendeinem Grund war sie überzeugt, dass Romer bei Devereux im Zimmer stand – dann verwarf sie diesen Gedanken als absurd.
    »Er sagt, es bleibt alles dir überlassen. Es ist deine Party. Wenn du abreisen willst, dann tu’s. Wenn du die Musik wechseln willst, dann tu’s. Vertrau deinen Instinkten, hat er gesagt.«
    »Hast du ihm erzählt, was ich von meinem Geschenk halte?«
    »Ja. Er hat die Sache geprüft. Es ist unser Produkt, also wollen sie es so haben.«
    Sie legte auf und dachte nach. Alles blieb also ihr überlassen. Auf der Schattenseite der Straße ging sie langsam ins Alamogordo zurück. Ein großer Truck mit dicken Baumstämmen fuhr vorbei, gefolgt von einem ziemlich schicken roten Coupé mit einem Mann und einer Frau auf dem Frontsitz. Sie blieb stehen und blickte sich um: Ein paar Kinder standen da und sprachen mit einem Mädchen auf dem Fahrrad. Aber sie hatte das merkwürdige Gefühl, dass sie beschattet wurde – was absurd war. Sie ging weiter, setzte sich für ein paar Minuten in den kleinen Park und las in ihrem Reiseführer, um die Gespenster aus ihrem Kopf zu vertreiben. Las Cruces – »Die Kreuze«: Der Ort war nach einem Massaker benannt, das Apatschen im achtzehnten Jahrhundert an einem Tross von Händlern verübt hatten – und nach den Kreuzen, die danach auf den Gräbern errichtet wurden. Sie hoffte, dass es kein böses Omen war.
    Das kleine rote Coupé fuhr wieder vorbei – diesmal

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