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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Enthüllungen meiner Mutter, seiner Frau, gehalten?, fragte ich mich. Natürlich wäre es zu seinen Lebzeiten gar nicht dazu gekommen – es war also eine sinnlose Hypothese. Um mich von diesem bedrückenden Thema abzulenken, versuchte ich mir vorzustellen, wie Timothy Thoms ohne seinen spanischen Bart aussehen mochte. »Rodrigo« Thoms. Das gefiel mir schon besser. Vielleicht würde ich ihn Rodrigo nennen.

Die Geschichte der Eva Delektorskaja
New Mexico 1941
    In der Santa Fe Station von Albuquerque stieg Eva Delektorskaja schnell aus dem Zug. Es war acht Uhr abends, und sie kam einen Tag später an als geplant – aber dafür in Ruhe und Sicherheit. Sie beobachtete, wer alles ausstieg, etwa ein Dutzend Leute, und wartete, bis der Zug nach El Paso weiterfuhr. Keine Spur von den zwei Krähen, die sie in Denver abgeschüttelt hatte. Trotzdem lief sie eine Weile durch die Straßen des Bahnhofsviertels, um sich zu vergewissern, dass sie ohne Verfolger war, bevor sie das erstbeste Hotel betrat – The Commercial – und für ein Einzelzimmer, drei Nächte, sechs Dollar im Voraus zahlte. Das Zimmer war klein, hätte sauberer sein können und bot einen wunderbaren Blick auf den Luftschacht, war aber ausreichend für ihren Zweck. Sie stellte ihren Koffer ab, ging zum Bahnhof zurück und ließ sich von einem Taxi ins Hotel de Vargas fahren, ihrem eigentlichen Ziel, wo sie ihren ersten Kontaktmann treffen sollte. Das de Vargas lag nur zehn Minuten entfernt im Geschäftsviertel, aber nach der Aufregung in Denver brauchte sie ein Schlupfloch. Eine Stadt: zwei Hotels – Grundwissen aus Lyne.
    Das de Vargas machte seinem prätentiösen Namen alle Ehre: Es war überladen, hatte hundert Zimmer und eine Cocktail-Lounge. Sie steckte einen Ehering auf den Finger, bevor sie an die Rezeption ging, und erklärte, ihr Gepäck sei in Chicago zurückgeblieben, die Bahn würde es nachschicken. Kein Problem, Mrs Dalton, sagte der Mann, wir geben Ihnen Bescheid, sobald es ankommt. Das Zimmer ging auf einen nachgemachten Pueblo-Hof mit plätscherndem Springbrunnen. Sie machte sich frisch, begab sich in die dunkle, so gut wie menschenleere Cocktail-Lounge und bestellte bei der dicken Serviererin, die ein kurzes orangefarbenes Kleid trug, einen Tom Collins. Aber an Entspannung war nicht zu denken; in ihrem Kopf arbeitete es viel zu sehr. Sie knabberte Erdnüsse, trank ihren Cocktail und überlegte, was als Nächstes zu tun war.
    Von New York war sie nach Chicago gefahren, wo sie die Nacht verbrachte, nachdem sie den Anschluss nach Kansas City absichtlich verpasst hatte. Die Fahrt durch Amerika verlief wie ein Steinwurf: erst westwärts, dann im Bogen abfallend Richtung New Mexico. Am nächsten Tag reiste sie nach Kansas City weiter, verpasste wieder den Anschluss nach Denver und wartete im Bahnhof drei Stunden auf den nächsten Zug. Sie kaufte eine Zeitung und fand auf Seite neun ein paar Meldungen über den Krieg. Die Deutschen näherten sich Moskau, aber der Winter behinderte ihren Vormarsch. Darüber, was in England los sein mochte, erfuhr sie gar nichts. Beim nächsten Abschnitt ihrer Reise, kurz vor Denver, machte sie einen Routinegang durch die Waggons. Die beiden Krähen entdeckte sie im Panoramawagen. Sie saßen zusammen, ein dummer Fehler, eine Schlamperei. Wären sie getrennt gewesen, hätte sie vielleicht nichts bemerkt, aber diese zwei anthrazitgrauen Anzüge hatte sie schon in Chicago gesehen, genauso diese zwei Krawatten – die eine bernstein-, die andere kastanienfarben. Die kastanienfarbene hatte das gleiche Rautenmuster wie die Krawatte, die sie Kolja einmal zu Weihnachten geschenkt hatte – er trug sie mit einem blassblauen Hemd, wie sie sich erinnern konnte. Er hatte ihr versprechen müssen, dass dieser Schlips sein »Lieblingsschlips« sein würde, und er legte einen feierlichen Schwur ab – der Schlips der Schlipse, hatte er gesagt und dabei versucht, ernst zu bleiben. Wie kann ich dir jemals danken? Und wegen dieser Geschichte waren ihr die zwei Krähen im Gedächtnis geblieben. Der Jüngere hatte ein vorstehendes Kinn, der Ältere war grauhaarig mit Schnauzbart. Sie ging an ihnen vorbei, setzte sich und schaute hinaus auf die vorbeiziehende Prärie. In der reflektierenden Scheibe sah sie, dass sich die beiden sofort trennten. Das Kinn verschwand nach unten, der Schnauzbart tat, als läse er die Zeitung.
    Von Denver hatte sie direkt nach Santa Fe und Albuquerque weiterfahren wollen, aber da nun klar war, dass sie

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