Ruhelos
durchzogenes Orange. Morgen würde sie nach Albuquerque fahren und ein Flugzeug nach Dallas nehmen und von dort aus zurückreisen -je eher, desto besser.
Im Hotelrestaurant aß sie ein Steak – zäh – mit Rahmspinat – kalt – und spülte mit einer Flasche Bier nach (»Wir servieren keinen Wein, Ma’m.«). Es saßen nur wenige andere Leute im Speisesaal, ein älteres Pärchen mit Reiseführern und Karten, ein dicker Mann hinter einer Zeitung, der niemals aufblickte, und eine gut gekleidete mexikanische Familie mit zwei stillen, sehr anmutigen kleinen Töchtern.
Auf dem Weg zum Bungalow ließ sie den Tag Revue passieren und fragte sich, ob das, was ihr der Instinkt eingegeben hatte, Romers Beifall finden würde. Sie blickte zu den Sternen und spürte die Nachtkälte der Wüste auf der Haut. Irgendwo bellte ein Hund. Routinemäßig überprüfte sie die anderen Bungalows, bevor sie ihre Tür aufschloss: Es waren keine Autos hinzugekommen, alles war unter Kontrolle. Sie drehte den Schlüssel und stieß die Tür auf.
Der Mann saß auf ihrem Bett, mit gespreizten Schenkeln, sein Revolver zielte auf ihr Gesicht.
»Tür zu«, sagte er. »Dort rüber.« Sein Akzent war schwerfällig, mexikanisch. Er stand auf, ein großer, kräftiger Mann mit Schmerbauch. Er hatte einen dichten schwarzen Schnauzbart, sein Anzug war von einem stumpfen Grün.
Sie durchquerte das Zimmer, während er sie, den Revolver schwenkend, in Schach hielt; in ihrem Kopf überstürzten sich die Fragen, ohne Antwort zu finden.
»Wo ist die Karte?«, sagte er.
»Was? Wer?« Sie hatte »Wo ist der Kerl?« verstanden.
»Die Karte.« Er sprach das T überscharf aus. Speichel sprühte.
Das Zimmer und ihr Koffer waren durchsucht, wie sie mit schnellem Rundblick feststellte. In rasendem Tempo wie eine Rechenmaschine spielte sie die Erklärungsvarianten und möglichen Folgen dieser Begegnung durch. Fast sofort war ihr klar, dass es am besten war, dem Mann die Karte zu geben.
»Im Schrank«, sagte sie. Sie ging auf den Schrank zu und hörte hinter sich den Revolver klicken. »Ich bin unbewaffnet«, sagte sie und bat mit einer Geste um Erlaubnis, den Schrank zu öffnen. Auf sein Nicken griff sie hinter die lose Trennwand, holte die Karte und die verbliebenen dreitausend Dollar heraus und übergab sie dem Mexikaner. Sein Verhalten, die Art, wie er alles entgegennahm und prüfte, ohne sie aus den Augen zu lassen, ließ sie vermuten, dass er Polizist war, kein Geheimdienstler. Er war an diese Dinge gewöhnt, so etwas machte er alle Tage, er war völlig ruhig. Das Geld und die Karte legte er auf den Schreibtisch.
»Ziehen Sie sich aus«, sagte er.
Beim Ausziehen wurde ihr übel. Nein, nicht das, dachte sie, bitte nicht. Die entsetzliche Vorstellung: seine massige Körperlichkeit, sein kalter Professionalismus – er war nicht wie Raul oder der Mann in Albuquerque. Sie wollte auf der Stelle tot sein.
»Okay, stop.« Sie war ausgezogen bis auf ihren BH und den Slip. »Ziehen Sie sich wieder an.« Es war keine Lüsternheit in seiner Stimme.
Er ging ans Fenster und zog den Vorhang auf. Sie hörte, wie ein Auto startete, näher kam und vor dem Bungalow hielt. Eine Wagentür schlug zu, der Motor lief weiter. Also waren da noch mehr. Sie zog sich so schnell an wie noch nie in ihrem Leben. Bloß keine Panik, dachte sie, denk an deine Ausbildung, vielleicht will er nur die Karte.
»Stecken Sie die Karte und das Geld in Ihre Handtasche«, sagte er.
Sie spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte, und sie versuchte, nicht vorauszudenken, ganz im Hier und Jetzt zu bleiben, trotzdem war ihr klar, was diese Aufforderung zu bedeuten hatte. Nicht das Geld und die Karte wollte er, sondern sie. Sie war die Beute.
Sie ging an den Schreibtisch.
Warum hatte sie auf die Pistole verzichtet, die Romer ihr angeboten hatte? Nicht, dass es jetzt noch eine Rolle spielte. Ein einfacher Kurierjob, hatte er gesagt. Romer glaubte nicht an Waffen oder unbewaffneten Kampf- du hast Zähne und Klauen, hatte er gesagt, deine Instinkte. Aber sie brauchte mehr als das, um mit diesem dicken, selbstsicheren Mann fertig zu werden. Sie brauchte eine Waffe.
Während der Mexikaner zur Tür ging, steckte sie die Karte und die dreitausend Dollar in ihre Handtasche. Er hielt den Revolver auf sie gerichtet, öffnete die Tür und schaute hinaus. Ihr Körper machte eine kleine Bewegung. Sie hatte nur diese eine Sekunde Zeit, und die nutzte sie.
»Kommen Sie«, sagte er, während sie die Kämme
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