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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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den sie sich den ganzen Nachmittag zäh konzentrierte.
    Gegen sechs Uhr abends saß sie wieder an ihrem Platz in der Cocktail-Lounge und schlürfte gerade einen trockenen Martini, als sich ein Mann auf den Stuhl gegenüber setzte.
    »Hallo. Schön, Sie so erholt zu sehen.« Er hatte ein schwammiges Gesicht, auf seiner Krawatte sah man Fettflecken. In der Hand hielt er eine Lokalzeitung, und er trug einen verschlissenen Strohhut, den er nicht abnahm.
    »Ich hatte gerade zwei Wochen Urlaub«, sagte sie.
    »Waren Sie in den Bergen?«
    »Ich fahre lieber an die See.«
    So weit, so gut, dachte sie und sagte dann: »Haben Sie etwas für mich?«
    Er legte die Zeitung mit bedeutsamer Geste auf den Nachbarstuhl. Typisch BSC, eine Zeitung hinzulegen, dachte sie. Eine Zeitung kann jeder haben. Und wir lieben es unkompliziert.
    »Fahren Sie nach Las Cruces. Ein Mann namens Raul wird Sie kontaktieren. Im Alamogordo Inn.«
    »Wie lange soll ich dort bleiben?«
    »Bis Raul sich meldet. War nett, mit Ihnen zu reden.« Er stand auf und ging. Sie nahm sich die Zeitung vor. Darin lag ein brauner, mit Klebstreifen verschlossener Umschlag. Oben in ihrem Zimmer beäugte sie den Umschlag zehn Minuten lang, bevor sie ihn öffnete und ihm eine Karte von Mexiko mit dem Aufdruck LUFTVERKEHRSNETZ VON MEXIKO. HAUPTLINEN entnahm.
     
    Sie rief bei Transoceanic an.
    »Hallo, Salbei.« Das war Angus Woolf – sie war überrascht, seine Stimme zu hören.
    »Hallo. Fährst du Sonderschichten?«
    »Gewissermaßen. Wie läuft die Party?«
    »Interessant. Ich hatte Kontakt, aber mein Geschenk ist besonders aufregend. Minderwertige Ware, würde ich sagen.«
    »Ich hole mal den Manager.«
    Devereux kam an den Apparat. »Minderwertig?«
    »Nicht, dass man es sofort merkt, aber man braucht nicht lange.«
    Die Karte hatte ein professionelles amtliches Aussehen und war zweifarbig bedruckt, rot und blau. Mexiko war in vier Gebiete aufgeteilt, Gau 1, Gau 2, Gau 3, Gau 4, und blaue Linien, die die Städte verbanden, stellten Fluglinien dar: von Mexico City nach Monterrey und Torreón; von Guadalajara nach Chihuahua und so weiter. Höchst ungewöhnlich waren die Linien, die über die Grenze Mexikos hinausreichten: eine südwärts »für Panama«, zwei nordwärts »für San Antonio, Texas« und »für Miami, Florida«. Die Absicht war einfach zu offensichtlich – wo steckte die Raffinesse? Aber noch ärgerlicher waren die Fehler. HAUPTLINEN statt
    HAUPTLINIEN und »für« statt »nach«. Sie verkehrten den ersten Eindruck sehr schnell in sein Gegenteil. Die sprachlichen Fehler ließen sich vielleicht noch damit erklären, dass der Zeichner kein Deutscher gewesen war (vielleicht war die Karte in Mexiko gedruckt worden), aber die Fehler und die territorialen Ambitionen, die in den Fluglinien zum Ausdruck kamen, das war ihr zu viel – ein allzu plumper Versuch, die Botschaft zu vermitteln.
    »Bist du sicher, dass das von uns ist?«
    »Soviel ich weiß, ja.«
    »Dann sag dem Chef, was ich davon halte. Ich rufe später noch mal an.«
    »Wirst du weitermachen?«, fragte er.
    »Mit der nötigen Vorsicht.«
    »Wohin fährst du?«
    »Der Ort heißt Las Cruces«, sagte sie unbedacht und dachte sofort: Warum bin ich so ehrlich? Zu spät.
    Sie legte auf, ging zur Rezeption und fragte, wo sie ein Auto mieten konnte.
     
    Die Straße nach Las Cruces zweigte südwärts vom Highway 85 ab und folgte etwa 220 Meilen dem alten Camino Real, der im Tal des Rio Grande bis Mexiko verlief. Es war eine zweispurige Teerstraße mit einigen betonierten Abschnitten, auf der sie schnell und stetig vorankam; sie fuhr einen hellbraunen Cadillac-Tourenwagen mit aufklappbarem Verdeck, das sie verschlossen ließ. Auf die Landschaft verschwendete sie kaum einen Blick, registrierte aber trotzdem die zerklüfteten Bergketten im Osten und Westen, die ranchitos mit ihren Melonen- und Maisfeldern, die sich an den Flussverlauf schmiegten, ab und zu sah sie von der Straße aus die felsigen Wüstenpartien und die Lavakrusten der berüchtigten Jornada del muerte -jenseits des Flusstals war das Land trocken und kahl.
    Am späten Nachmittag erreichte sie Las Cruces und fuhr auf der Suche nach dem Alamogordo Inn die Main Street entlang. Diese kleinen Städte kamen ihr fast schon vertraut vor, nachdem sie auf ihrer Fahrt ein halbes Dutzend davon durchquert hatte, die alle gleich aussahen – Los Lunas, Socorro, Hatch – und zu einem uniformen Bild neumexikanischer Provinzialität verflossen. Nach den

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