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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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zurechtschob, die ihr Haar zu einem losen Knoten bündelten. »Keine Zeitverschwendung.« Er hakte sie unter, die Mündung seines Revolvers bohrte sich in ihre Seite, und sie gingen zum Wagen. Drüben vor dem Nachbarbungalow sah sie die kleinen mexikanischen Mädchen auf der Veranda spielen – von ihr und ihrem Begleiter nahmen sie keine Notiz.
    Er schob sie auf den Beifahrersitz und folgte ihr, so dass sie hinüberrutschen musste, hinters Steuerrad. Die Scheinwerfer waren eingeschaltet. Von der Person, die den Wagen gebracht hatte, war nichts zu sehen.
    »Sie fahren«, sagte er. Er hängte den Arm über die Lehne und drückte ihr den Revolver gegen die Rippen. Sie legte den Gang ein – die Schaltung befand sich an der Lenksäule – und fuhr langsam los.
    Als sie das Motel verließen und auf die Straße nach Las Cruces einbogen, war ihr, als hätte er jemandem, der im Schatten der Pappeln am Straßenrand stand, ein Zeichen gegeben – gewinkt, den Daumen gehoben. Sie riskierte einen Blick und glaubte zwei Männer zu sehen, die neben einem Auto mit ausgeschalteten Scheinwerfern warteten. Das Auto sah aus wie ein Coupé, aber es war zu dunkel, um die Farbe zu erkennen. Schon waren sie vorüber, und er befahl ihr, durch Las Cruces zu fahren und den Highway 80 zur texanischen Grenze zu nehmen.
    Sie fuhren etwa eine halbe Stunde auf dem Highway 80. Als die Stadtgrenze von Berino in Sicht kam, musste sie auf eine Schotterstraße abbiegen, die dem Wegweiser zufolge nach Leopold führte. Die Straße war in schlechtem Zustand, das Auto ruckelte und polterte, der Revolver des Mexikaners stieß ihr schmerzhaft in die Seite.
    »Langsamer«, sagte er. Sie drosselte das Tempo auf etwa zehn Meilen pro Stunde, und nach wenigen Minuten befahl er ihr zu halten.
    Sie standen in einer scharfen Kurve, die Scheinwerfer beleuchteten Gestrüpp und steinigen Untergrund, dahinter öffnete sich, wie es aussah, eine tiefe schwarze Schlucht.
    Eva saß da und spürte den Adrenalinstoß, der ihren Körper durchströmte. Ihr Kopf war bemerkenswert klar. Nach jeder vernünftigen Berechnung würde sie in wenigen Minuten tot sein, da gab es keinen Zweifel. Vertrau auf deine Instinkte. Sie wusste genau, was sie zu tun hatte.
    »Steigen Sie aus«, sagte der Mexikaner. »Wir treffen ein paar Leute.«
    Das ist gelogen, dachte sie. Er will mich nur nicht wissen lassen, dass jetzt das Ende kommt.
    Sie griff mit der linken Hand nach der Türverriegelung und schob gleichzeitig mit der rechten eine Haarsträhne hinters Ohr. Eine natürliche Geste, ein weiblicher Reflex.
    »Licht ausschalten«, sagte der Mexikaner.
    Sie brauchte das Licht.
    »Hören Sie«, sagte sie. »Ich habe noch mehr Geld.«
    Die Fingerspitzen ihrer rechten Hand berührten das Radiergummi-Ende des Bleistifts aus der Mesilla Motor Lodge, den sie in ihren Haarknoten gesteckt hatte – einen der neuen, gut gespitzten Gratisstifte neben dem Briefpapier und den Postkarten auf dem Löschbuch –, in dem Moment, als der Mexikaner kurz aus der Tür geschaut hatte.
    »Ich kann Ihnen noch zehntausend besorgen«, sagte sie. »Ganz leicht. In einer Stunde.«
    Er lachte kurz. »Steigen Sie aus.«
    Sie zog den Bleistift aus ihrem Haarknoten und stieß ihn in sein linkes Auge.
    Der Stift glitt sofort und ohne Widerstand hinein, fast bis zu seiner vollen Länge von fünfzehn Zentimetern. Dem Mann stockte der Atem, sein Revolver fiel polternd zu Boden. Er versuchte, mit zitternden Händen an sein Auge zu greifen, wie um den Stift herauszuziehen, dann sank er gegen die Tür. Das Ende des Bleistifts mit dem Radiergummi ragte ein wenig aus dem zerstörten Glaskörper heraus. Es gab kein Blut. An seiner völligen Reglosigkeit erkannte sie sofort, dass er tot war.
    Sie schaltete die Scheinwerfer aus und stieg aus dem Auto. Sie zitterte, aber nicht allzu sehr, und sie sagte sich, dass sie ihrem Tod wahrscheinlich sehr nahe gewesen war, dem Moment der Entscheidung zwischen Leben oder Tod, daher spürte sie keinen Schock, kein Entsetzen darüber, was sie diesem Mann angetan hatte. Sie zwang sich zur nüchternen Überlegung: Was nun? Einfach flüchten? Vielleicht war aus diesem Desaster noch etwas zu machen. Immer einen Schritt nach dem anderen. Gebrauch deinen Grips, sagte sie zu sich. Denk nach.
    Sie stieg wieder ins Auto und fuhr es von der Straße hinunter, hinter ein dichtes Gebüsch. Im Dunkeln neben dem toten Mexikaner sitzend, ging sie systematisch ihre Möglichkeiten durch. Sie knipste das Licht über

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