Ruhig Blut!
Om sei gepriesen.«
Glucks, platsch.
Hilbert Himmelwärts hatte sich durch alle Lieder gearbeitet, die er
kannte, selbst durch jene, die man eigentlich gar nicht mehr singen sollte, die einem jedoch im Gedächtnis blieben, weil die Worte so gut klangen. Er sang sie laut und herausfordernd, um Nacht und Zweifel von sich fernzuhalten. Sie halfen ihm dabei, sich von Oma Wetterwachs’ Gewicht abzulenken. Erstaunlicherweise schien sie während der letzten Meile erheblich zugenommen zu haben. Sie wog vor allem dann enorm viel, wenn er stürzte und sie auf ihm landete.
Irgendwo im Schlamm hatte er selbst einen Stiefel verloren. Sein Hut schwamm in irgendeiner großen Pfütze. Dornen hatten seinen Mantel zerrissen…
Er rutschte aus und fiel erneut, als sich der Morast unter ihm bewegte. Oma rollte von ihm herunter und blieb zwischen einigen Riedgrasbüscheln liegen.
Wenn Pater Melchio ihn jetzt gesehen hätte…
Der Sanfte Falke flog vorbei und hockte sich auf den Ast eines wenige Meter entfernten abgestorbenen Baums. Himmelwärts verabscheute ihn. Der Vogel erschien ihm dämonisch. Er flog, obwohl er dazu wegen der Haube überhaupt nicht fähig sein sollte. Und schlimmer noch: Wenn er an ihn dachte, so wie jetzt, drehte der Sanfte Falke den Kopf und schien ihn durch die Haube anzustarren.
Himmelwärts zog den anderen, nutzlos gewordenen Stiefel aus – glänzendes Leder hatte sich in einen unansehnlichen, von feinen Rissen durchzogenen Lappen verwandelt – und warf ihn ungeschickt nach dem Vogel.
»Verschwinde, du gräßliches Geschöpf!«
Der Sanfte Falke rührte sich nicht von der Stelle, und der Stiefel verfehlte ihn um mehr als einen Meter.
Als Himmelwärts aufzustehen versuchte, roch er verbranntes Leder.
Zwei Rauchfäden kräuselten zu beiden Seiten unter der Haube hervor.
Himmelwärts hob die Hand zum Hals und tastete nach der Sicherheit der Schildkröte – sie war nicht mehr da. Fünf Obolusse hatte sie ihn in der Zitadelle gekostet, und jetzt kam die Überlegung zu spät, daß er sie nicht an einer Kette hätte befestigen sollen, deren Wert dem Zehntel eines Obolusses entsprach. Vermutlich lag die heilige Schildkröte in irgendeiner Pfütze oder war im Schlamm begraben…
Das Leder verbrannte nun, und aus den Löchern kam ein so heller gelber Glanz, daß Himmelwärts kaum mehr die Umrisse des Vogels erkennen konnte. Die nasse Landschaft verwandelte sich in ein Muster aus Linien und Schatten; jedes Grasbüschel und jeder windschiefe Baum bekamen goldene Kanten.
Dann verschwand das Schimmern so plötzlich, daß in Himmelwärts’ Augen kleine purpurne Explosionen zurückblieben.
Als er zu Atem gekommen war und das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, flog der Vogel über das Moor fort.
Er hob die bewußtlose Oma Wetterwachs auf und lief dem sonderbaren Geschöpf hinterher.
Wenigstens führte der Weg den Hang hinab. Immer wieder glitt der Priester auf einer Mischung aus Schlamm und Adlerfarn aus. Kleine Bäche strömten überall aus Ritzen und Löchern. Oft hatte er das Gefühl, überhaupt nicht zu gehen, sondern kontrolliert zu rutschen. Er prallte von Felsen ab und schlitterte durch Pfützen aus Schlick und Blättern.
Und plötzlich sah er das Schloß durch eine Lücke zwischen den Bäumen, erhellt vom flackernden Schein eines Blitzes. Himmelwärts taumelte durch ein Dickicht aus Dornbüschen, brachte einen Hang aus losen Felsblöcken hinter sich und brach auf der Straße zusammen. Oma Wetterwachs landete einmal mehr auf ihm.
Sie bewegte sich.
»… Urlaub von der Vernunft… alle umbringen… kann so etwas nicht mehr zulassen…«, murmelte sie.
Der Wind wehte ihr Regentropfen von einem Zweig ins Gesicht, und sie öffnete die Augen. Ein oder zwei Sekunden lang glaubte Himmelwärts, rote Pupillen in ihnen zu erkennen, dann richtete sich ein eisblauer Blick auf ihn.
»Sind wir da?«
»Ja.«
»Was ist mit deinem heiligen Hut passiert?«
»Ich habe ihn verloren«, erwiderte Himmelwärts abrupt.
Oma sah genauer hin.
»Auch dein magisches Amulett ist weg«, sagte sie. »Ich meine das mit der kleinen Schildkröte und dem Mann darauf.«
»Das war kein magisches Amulett, Frau Wetterwachs! Ich bitte dich! Magische Amulette sind Symbole eines primitiven, mechanistischen Aberglaubens, wohingegen Oms Schildkröte ein Zeichen für… für… Nun, sie hat nichts mit Aberglauben zu tun, verstanden?«
»Oh, ja, danke für die Erklärung«, sagte Oma. »Hilf mir auf.«
Himmelwärts sah sich mit Problemen
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