Ruhig Blut!
Besucher Oma kalt und steif vorfanden, mit einem Puls, der sich kaum mehr fühlen ließ. Das Pappschild diente dazu, peinliche Zwischenfälle zu vermeiden.
Es ergab einen gewissen Sinn, mußte Agnes zugeben, als sie Magrat und den Zofen zum Großen Saal folgte. In Lancre benannte man Kinder um Mitternacht, damit sie den Tag mit einem neuen Namen beginnen konnten. Agnes wußte nicht, warum es einen Sinn ergab. Irgendwann schien jemand herausgefunden zu haben, daß so etwas gut funktionierte, und Lancrestianer trennten sich nie von funktionierenden Dingen.
Allerdings änderten sie auch nur selten etwas an ihnen.
Dieser Umstand schien Verence zu deprimieren, der aus Büchern lernte, ein König zu sein. Seine Pläne für Bewässerung und Landwirtschaft stießen bei den Lancrestianern auf begeisterte Zustimmung – doch sie machten keine Anstalten, sie in die Tat umzusetzen. Mit einer ähnlichen Einstellung begegneten sie Verences Absichten in bezug auf Hygiene. Für den durchschnittlichen Lancrestianer bestand ausgezeichnete Hygiene aus einem rutschfesten Weg zum Abort und einem Katalog mit sehr weichen Blättern. Das Volk von Lancre begrüßte die Königliche Gesellschaft zur Verbesserung der Menschheit, aber da sich die Aktivitäten besagter Gesellschaft vor allem auf die Zeit beschränkten, die Shawn am Donnerstagnachmittag dafür erübrigen konnte, brauchte die Menschheit kaum Verbesserungen zu befürchten – obgleich Shawn neue Dichtungen für die zugigeren Teile des Schlosses entwickelt hatte, wofür er vom König mit einer kleinen Medaille belohnt worden war.
Etwas anderes als eine Monarchie konnten sich die Lancrestianer für ihre Heimat gar nicht vorstellen. Über Tausende von Jahren hinweg hatten sie in einer Monarchie gelebt und wußten, daß sie funktionierte. Aber ihnen war auch klar, daß es sich kaum lohnte, den Wünschen und Absichten des Königs zu große Aufmerksamkeit zu schenken, weil es in vierzig Jahren oder so einen neuen König geben würde, der die Dinge ganz anders sah – warum also Zeit vergeuden? Und was die Aufgaben des jeweiligen Königs betraf: Nach Ansicht der Bürger von Lancre sollte er vor allem im Schloß bleiben, richtiges Winken üben und vernünftig genug sein, auf Münzen zur richtigen Seite zu blicken. Abgesehen davon war es am besten, wenn er die einfachen Leute in Ruhe ließ, damit sie ungestört pflügen, säen, Unkraut jäten und ernten konnten. Sie sahen darin eine Art sozialen Vertrag. Sie verrichteten die Arbeit, die sie immer verrichtet hatten, und er behinderte sie nicht dabei.
Doch manchmal wollte Verence unbedingt regieren…
Im Schloß Lancre blickte König Verence in den Spiegel und seufzte.
»Frau Ogg«, sagte er und rückte die Krone zurecht, »wie du weißt, habe ich großen Respekt vor den Hexen von Lancre, aber in diesem Fall handelt es sich um eine Angelegenheit allgemeiner Politik, und mit Verlaub: Dafür ist der König zuständig.« Erneut rückte er die Krone zurecht, während der Butler Spriggins den Mantel abbürstete. »Wir müssen tolerant sein. Wirklich, Frau Ogg, ich habe dich noch nie so aufgeregt gesehen…«
»Sie laufen herum und verbrennen Leute!« erwiderte Nanny hitzig und voller Ärger über all den Respekt.
» Früher war das einmal der Fall, glaube ich«, sagte Verence.
»Und sie haben vor allem Hexen verbrannt!«
Verence nahm die Krone ab, putzte sie mit dem Ärmel und zeigte eine Vernunft, die einen zur Raserei bringen konnte.
»Soweit ich weiß, waren sie beim Verbrennen nicht besonders wählerisch«, meinte er. »Aber das alles geschah vor langer Zeit.«
»Unser Jason hat ihre Predigten unten in Ohulan gehört und meint, sie hätten einige sehr scheußliche Dinge über Hexen gesagt!«
»Leider kennen nicht alle Leute Hexen so gut wie wir«, erwiderte Verence. In ihrem derzeitigen überhitzten Zustand glaubte Nanny, daß er sich ihr gegenüber viel zu diplomatisch verhielt.
»Und unser Wayne meint, daß sie versuchen, Leute gegen andere Religionen aufzubringen«, fuhr Nanny fort. »Nach der Eröffnung ihrer Mission haben sogar die Offlerianer ihre Sachen gepackt und sind gegangen. Es ist eine Sache zu behaupten, man hätte den besten Gott. Aber auch noch zu sagen, er sei der einzige… Das halte ich nun wirklich für übertrieben. Und ihrer Meinung nach beginnt man sein Leben als Sünder und wird erst gut, indem man an Om glaubt, was völliger Unsinn ist. Ich meine, nimm nur das kleine Mädchen… äh… wie soll es
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