Ruhig Blut!
schienen.
»Wußte sie, daß Magrat ihre Tochter Esme nennen wollte?« fragte sie.
»Wahrscheinlich. Es ist erstaunlich, was sie alles mitbekommt.«
»Viel eicht war es nicht sehr taktvol , wenn man genauer darüber nach-
denkt«, sagte Agnes.
»Wie meinst du das? Ich hätte so etwas als eine Ehre empfunden.«
»Vielleicht dachte Oma, daß ihr Name weitergegeben, gewissermaßen
vererbt worden ist.«
»Oh, ja«, erwiderte Nanny. »Ja. Ich könnte mir vorstel en, daß sie es aus
diesem Blickwinkel sieht, wenn sie besonders schlechte Laune hat.«
»Meine Oma sagte einmal, daß man mit zuviel Scharfsinn Gefahr läuft,
sich zu verletzen«, meinte Agnes.
Sie schwiegen einen Moment, dann sagte Nanny Ogg: »Meine Oma
kannte eine recht deftige Redensart, die sie bei solchen Gelegenheiten
zum besten gab.«
»Und welche?«
»›Verschwinde, du kleiner Teufel, sonst schneide ich dir die Nase ab
und gebe sie der Katze.‹ Ich fürchte al erdings, daß wir unter den gege-
benen Umständen mit so einer Weisheit kaum etwas anfangen können.«
Hinter ihnen klimperte es. Nanny drehte den Kopf und blickte auf den
Tisch.
»Es fehlt ein Löffel…«
Es klimperte erneut, diesmal bei der Tür.
Eine Elster unterbrach ihren Versuch, den gestohlenen Löffel nach
draußen zu tragen. Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite und bedachte
die beiden Hexen mit einem wachsamen Blick. Dann sprang sie auf und
flog davon, um nicht von Nannys Hut getroffen zu werden, der sich wie
ein Teller drehte und an den Türpfosten stieß.
»Die verdammten Viecher klauen al es, was glänz…«, bemerkte sie.
Der Graf de Elstyr sah aus dem Fenster und beobachtete das Glühen,
das den nahen Sonnenaufgang ankündigte.
»Na bitte«, sagte er und drehte sich zu seiner Familie um. »Es ist Mor-
gen, und wir sind hier.«
»Der Himmel ist bedeckt«, erwiderte Lacrimosa verdrießlich. »Von son-
nig kann keine Rede sein.«
»Eins nach dem anderen«, sagte der Graf fröhlich. »Ich wollte nur auf
unsere Fortschritte hinweisen. Heute ist der Himmel bedeckt, ja, aber
damit haben wir eine gute Grundlage. Wir können uns akklimatisieren.
Und dann eines Tages… der Strand…«
»Du bist wirklich sehr klug, mein Lieber«, meinte die Gräfin.
»Danke, meine Liebe«, entgegnete der Graf und nickte zustimmend.
»Wie kommst du mit dem Korken zurecht, Vlad?«
»Hältst du das wirklich für eine gute Idee, Vater?« Vlad rang mit Fla-
sche und Korkenzieher. »Wir trinken doch nicht. Zumindest keinen
Wein.«
»Vielleicht wird es Zeit, daß wir damit anfangen.«
»Bäh«, machte Lacrimosa. »Das Zeug rühre ich nicht an. Es wurde aus
Gemüse herausgequetscht!«
»Wohl eher aus Obst«, sagte der Graf ruhig. Er nahm die Flasche von
seinem Sohn entgegen und löste den Korken. »Ein roter Bordeauxwein,
wenn ich das richtig verstehe. Möchtest du ihn probieren?«
Seine Gemahlin lächelte nervös. Sie unterstützte die Bemühungen des
Grafen, aber manchmal nur widerstrebend.
»Sol ten wir ihn nicht… äh… ein wenig erwärmen?« fragte sie.
»Ich glaube, Zimmertemperatur ist genau richtig.«
»Wie ekelhaft !« entfuhr es Lacrimosa. »Ich weiß gar nicht, wie ihr so was ertragen könnt!«
»Versuch den Wein für deinen Vater, Schatz«, sagte die Gräfin. »Rasch,
bevor er gerinnt.«
»Nein, meine Liebe. Wein bleibt flüssig.«
»Tatsächlich? Wie praktisch.«
»Vlad?« Der Graf fül te ein Glas, und sein Sohn beobachtete ihn ner-
vös.
»Vielleicht hilft es, wenn du dir den Wein als Traubenblut vorstellst«,
sagte der Graf und reichte Vlad das Glas. »Was ist mit dir, Lacci?«
Sie verschränkte entschlossen die Arme. »Ausgeschlossen!«
»Ich hätte gedacht, daß du Gefal en daran findest, Schatz«, sagte die
Gräfin. »Deine Clique beschäftigt sich doch mit solchen Dingen, oder?«
»Ich weiß gar nicht, wovon du redest«, erwiderte das Mädchen.
»Oh, bis nach Mittag aufbleiben und bunte Kleider tragen und sich
seltsame Namen geben«, erklärte die Gräfin.
»Wie zum Beispiel Gertrud «, höhnte Vlad. »Oder Pamela. Sie halten das für cool.«
Lacrimosa wandte sich wütend ihrem Bruder zu und zielte mit den
Fingernägeln auf ihn. Er hielt sie am Handgelenk fest und lächelte.
»Das geht dich nichts an!«
»Lady Strigoiul meinte, ihre Tochter nennt sich jetzt Wendy«, sagte die
Gräfin. »Der Grund dafür ist mir ein Rätsel. Hieroglyphica ist doch ein
so hübscher Name für ein Mädchen. Und wenn ich ihre Mutter
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