Ruhig Blut!
man das Surren nicht überal im Garten hörte. Wenn
sie sich jetzt von der Stelle rührte, wenn sie versuchte, die Dinge zu er-
zwingen… dann würde die metaphorische Sehne reißen.
Nanny kehrte zurück.
»Drei Uhr?« fragte Agnes, bevor sie den Mund öffnete.
»Kurz danach.«
»Wie viele Minuten danach?«
»Zwei oder drei…«
»Zwei oder drei?«
»Na schön, drei.«
Die drei Elstern flogen zu einem anderen Baum und jagten sich dort
von Ast zu Ast, wobei sie laut schnatterten.
»Drei Minuten nach drei«, sagte Agnes. Die Anspannung löste sich
langsam auf, als Worte entstanden. Ȇberal die Drei, Nanny. Oma Wet-
terwachs dachte in Dreien. Im Ziegenschuppen lag noch ein Kerzenhalter, und ich habe dort auch weiteres Besteck gesehen. Aber sie hat von jeder
Sorte nur drei Exemplare auf den Tisch gelegt.«
»An manchen Stel en war auch nur ein Objekt oder zwei«, wandte
Nanny ein, doch in ihrer Stimme lag auch Zweifel.
»Dann hatte sie nur ein oder zwei Exemplare davon«, sagte Agnes. »In
der Spülküche waren noch mehr Löffel und andere Dinge. Ich meine,
aus irgendeinem Grund hat Oma nicht mehr als jeweils drei auf den Tisch gelegt.«
»Ich weiß, daß sie vier Tassen hat«, erinnerte sich Nanny.
»Drei« korrigierte Agnes. »Eine ist zerbrochen. Die Reste liegen im
Schmutzwassereimer.«
Nanny Ogg richtete einen verwunderten Blick auf die junge Hexe.
»Esme ist nie ungeschickt«, murmelte sie und sah Agnes so an, als ver-
suchte sie, einen großen, schrecklichen Gedanken zu verdrängen.
Ein Windstoß ließ die Bäume erzittern. Einige Regentropfen fielen.
»Laß uns in die Hütte gehen«, schlug Agnes vor.
Nanny schüttelte den Kopf. »Da drin ist es kälter als hier draußen.«
Etwas glitt über die Blätter hinweg und landete auf dem Rasen: eine vier-
te Elster.
»›und vier steht für Wiegen‹«, sagte Nanny wie zu sich selbst. »Das
wär’s dann wohl. Ich hatte gehofft, daß sie nichts merkt, aber vor Esme
kann man nichts verbergen. Der junge Shawn kann sich auf eine Abrei-
bung gefaßt machen, wenn ich nach Hause komme! Er hat geschworen,
daß er ihr die Einladung gebracht hat!«
»Viel eicht hat Oma sie mitgenommen.«
»Nein!« widersprach Nanny scharf. »Wenn sie die Karte bekommen
hätte, wäre sie gestern abend im Schloß erschienen, da kannst du sicher
sein!«
» Was sol te sie nicht gemerkt haben?« fragte Agnes.
»Das mit Magrats Tochter!«
»Was? Kein Wunder, daß ihr etwas aufgefallen ist! Ich meine, ein Baby
kann man nicht einfach so verstecken! Al e im Königreich wissen dar-
über Bescheid.«
»Ich meine, Magrat hat eine Tochter !« betonte Nanny. »Sie ist jetzt Mutter !«
»Ja! So was passiert! Und?«
Sie bemerkten zum selben Zeitpunkt, daß sie sich anschrien.
Es regnete stärker. Wenn sich Agnes bewegte, fielen Tropfen von ih-
rem Hut.
Nanny beruhigte sich ein wenig. »Nun, wir könnten wenigstens so ver-
nünftig sein, einen trockenen Ort aufzusuchen.«
»Wie wär’s, wenn wir ein Feuer im Kamin anzünden?« fragte Agnes, als
sie in die kalte Küche traten. »Es liegt schon Holz bereit…«
»Nein!«
»Du brauchst nicht schon wieder laut zu werden!«
»Es wird kein Feuer angezündet, klar?« sagte Nanny. »Rühr nicht mehr Dinge an als unbedingt notwendig.«
»Ich könnte noch mehr Holz holen und…«
»Ausgeschlossen! Das Feuerholz liegt nicht hier, damit du es anzündest!
Und laß die Tür offen!«
Agnes hatte den Stein fortschieben wol en und zögerte.
»Ich bitte dich, Nanny: Der Wind weht Regen und Laub herein!«
»Und wenn schon.«
Nanny nahm wieder im Schaukelstuhl Platz, hob den Rock, suchte im
Schlüpferbein und holte den Flachmann hervor. Sie nahm einen großen
Schluck, und ihre Hände zitterten dabei.
»In meinem Alter kann ich nicht einfach so anfangen, eine alte Fuchtel
zu sein«, murmelte sie. »Ich schätze, meine BHs sind viel zu groß dafür.«
»Nanny?«
»Ja?«
»Was hat das al es zu bedeuten? Tochter? Kein Kaminfeuer anzünden?
Alte Fuchteln?«
Nanny ließ den Flachmann wieder verschwinden, griff ins andere
Schlüpferbein und holte ihre Pfeife sowie den Tabaksbeutel hervor.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich es dir erklären sol «, erwiderte sie.
Oma Wetterwachs hatte bereits eine ganze Strecke zurückgelegt und
befand sich jetzt hoch oben im Wald. Sie folgte dem Lauf eines Weges,
der gelegentlich von Köhlern und Zwergen benutzt wurde.
Lancre starb bereits. Sie fühlte, wie das Land in
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