Ruhig Blut!
einen Befehl, Priester!
Was glaubst du denn? Was glaubst du, worum es… wirklich geht? Dar-
um, Lieder zu singen? Früher oder später… läuft es auf… Blut hin-
aus…«
Ihr Kopf neigte sich auf dem Amboß von einer Seite zur anderen.
Himmelwärts blickte auf ihre Hände. Der größte Teil des alten Eisens
blieb schwarz, aber in unmittelbarer Nähe der Finger begann das Metal
zu glühen, und der Rost brutzelte. Ganz vorsichtig berührte er den Am-
boß, zog die Hand aber sofort wieder zurück und befeuchtete sich die
halb verbrannten Fingerspitzen.
»Es geht Frau Wetterwachs nicht besonders gut, oder?« fragte Festgrei-
faah und trat ein.
»Ja, das könnte man sagen.«
»Meine Güte. Möchtest du Tee?«
»Was?«
»Es ist eine scheußliche Nacht. Wenn wir uns nicht hinlegen, setze ich
Teewasser auf.«
»Ist dir klar, daß Oma Wetterwachs als blutgierige Vampirin aufstehen
könnte?«
»Oh.« Einige Sekunden lang beobachtete der Falkner die reglose Ges-
talt und den dampfenden Amboß. »Dann könnte es sicher nicht schaden,
vorher eine Tasse Tee zu trinken.«
» Verstehst du, was hier vor sich geht?«
Festgreifaah betrachtete die Szene noch einmal. »Nein«, antwortete er.
»In dem Fall…«
»Es ist nicht meine Aufgabe, solche Dinge zu verstehen«, sagte der
Falkner. »Dazu bin ich nicht ausgebildet. Man braucht sicher eine lange
Ausbildung, um so was zu verstehen, deshalb überlasse ich das euch.
Und ihr? Versteht ihr, wie man einen Vogel abrichtet, damit er Beute
schlägt und anschließend zurückkehrt?«
»Davon habe ich keine Ahnung…«
»Na bitte. Dann ist ja alles klar. Also eine Tasse Tee, in Ordnung?«
Himmelwärts gab auf. »Ja, gut. Danke.«
Festgreifaah eilte fort.
Der Priester setzte sich. Wenn er ganz ehrlich sein sollte, wußte er
nicht genau, ob er verstand, was vor sich ging. Die alte Frau hatte inner-
lich gebrannt und sehr gelitten. Jetzt wurde das Eisen heiß, als nähme der
Amboß Hitze und Schmerz in sich auf. Konnte sich jemand auf diese
Weise von Pein befreien? Nun, die Propheten waren dazu natürlich im-
stande – weil Om ihnen die Fähigkeit verliehen hatte. Doch diese alte
Frau glaubte offenbar an gar nichts.
Sie regte sich jetzt nicht mehr.
Die anderen hatten so über sie gesprochen, als sei sie eine mächtige
Magierin, doch die Gestalt im Großen Saal war ihm müde und ausge-
laugt erschienen. Himmelwärts erinnerte sich an das Pflegeheim in Aby
Dyal, an steife, in sich selbst zurückgezogene Kranke, die litten, bis der
Schmerz zu groß wurde, bis ihnen nur noch Gebete blieben und dann
nicht einmal mehr die… Alles deutete darauf hin, daß die Alte jetzt diese
Phase erreicht hatte.
Sie rührte sich nicht von der Stel e. So eine Reglosigkeit hatte Him-
melwärts nur dann gesehen, wenn Bewegungen nicht mehr im Bereich
des Möglichen lagen.
Den Berg hinauf und ins Tal hinab liefen die Wir-sind-die-Größten. Für
List und Schläue schien in ihrem Denken kein Platz zu sein. Sie kamen
jetzt ein wenig langsamer voran, denn einige von ihnen entfernten sich
immer wieder von der Hauptgruppe, um untereinander zu kämpfen oder
eine Jagd zu improvisieren. König Verence hatte inzwischen Gesel schaft
bekommen. Nicht nur er wurde durchs Heidekraut getragen, sondern
auch ein Fuchs, ein betäubter Hirsch, ein Keiler und ein Wiesel, das im
Verdacht stand, einen Wir-sind-die-Größten auf seltsame Weise angese-
hen zu haben.
Verence stel te benommen fest, daß sie sich einem Wal am Ende einer
Wiese näherten. Er war längst mit uralten Dornbüschen überwuchert.
Die Kobolde hielten abrupt inne, als der Kopf des Königs nur noch
wenige Zentimeter von einem Kaninchenbau entfernt war.
»Paßt nicht rein!«
»Ordentlich schieben?«
Verences Kopf wurde einige Male hoffnungsvol gegen weichen Boden
gestoßen.
»So klappt’s nicht!«
»Wenn’s nicht geht, geht’s eben nicht.« Ein Kobold schüttelte den
Kopf. »Wir müssen uns was einfallen lassen. Sonst macht die Dicke
Strumpfbänder aus unseren Gedärmen…«
Daraufhin geschah etwas Ungewöhnliches: Die Wir-sind-die-Größten
schwiegen einen Moment. Dann sagte einer von ihnen: »Ich fürchte,
dazu wäre sie tatsächlich fähig.«
»Und außerdem wird sie uns allen ganz gewaltig das Fell über die Oh-
ren ziehen, jawohl. Wenn sich die Dicke ärgert, fliegen die Fetzen.«
»Dann sol ten wir uns an die Arbeit machen…«
Verence sank auf den Boden. Gewisse Geräusche deuteten
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