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Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Titel: Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascale Hugues
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blauem Stoff, die noch mehrere Wochen an der Wohnungstür hing. Bevor die Nachfolger sie abrissen, die beiden Teile der Wohnung wieder wie vor dem Krieg zusammenführten und mit ihren Design-Möbeln und ihrer ultramodernen Küche einzogen. Sie haben es sogar geschafft, ich habe keine Ahnung wie, mit dem Katzengeruch fertigzuwerden, der Frau Sollers Weggang um mehrere Monate überlebte. An jenem Tag ist das Berlin der Sollers endgültig aus unserer Straße verschwunden.

Straßenklatsch
    Kann es wirklich sein, dass in einer Straße nie etwas passiert ist? Oberflächlich betrachtet wirkt meine Straße ganz harmlos. Ihr Name taucht nur selten auf den «Vermischtes»-Seiten der diversen Berliner Zeitungen auf, die ich stundenlang durchkämmt habe. «In der Nacht vom 9 . zum 10 . Mai 1961 drangen unbekannte Täter in die Kaiser-Barbarossa-Apotheke ein. Nach bisherigen Ermittlungen wurde nur Bargeld entwendet», unterrichtet die
Pharmazeutische Zeitung
. Na toll! Das ist die einzige prickelnde Notiz, die ich über meine Straße gefunden habe. Aber das will nichts heißen. Wenn ich die Archivberichte, das Kiezgeflüster und die mehr oder weniger glaubwürdigen Legenden addiere, kommt eine beachtliche Summe flüchtiger kleiner Ereignisse zusammen, die ihr über die Jahre ein wahres Leben verschaffen.
     
    Einer, der sehr nützlich ist für die Rekonstruktion einer Geschichte durch die Epochen hindurch, ist der Stänkerer vom Dienst. Dieser Mitbürger ist verärgert und will, dass die ganze Welt das weiß. Sich zu beklagen ist sein Lebensinhalt, ja seine große Leidenschaft, so offensichtlich ist das Vergnügen, mit dem er seine Mission verfolgt: seine Mitmenschen auf den rechten Pfad zurückzubringen. Hundekacke und -pisse auf dem Gehsteig, Mäuse und Kakerlaken in den Kellern, Feuchtigkeit und Risse in den Mauern, defekte Spülkästen und Gaslecks in den Badezimmern, nächtliche Ruhestörungen, heimliche Untermieter … Von 1904 bis in unsere Tage ist der Katalog wenig abwechslungsreich. Die Straßen scheinen unterschiedslos die gleichen Konflikte hervorzubringen. Sie verlaufen in festen Bahnen, sind unfähig, andere, vielleicht kribbelndere zu erzeugen. Die Reklamation wird von einem Zeitalter ans nächste weitergegeben, wie der Stab in einem Staffellauf.
    Meist bläst der Stänkerer nicht allein in seiner Ecke Trübsal. Nein, er beklagt sich offiziell, oft und schriftlich. Nehmen wir nur mal Julius Poppelauer, mit seinem lächerlichen Namen, seinen Zornesfalten auf der Stirn, seinen steifen, höflichen Wendungen, seinem Bleistiftstrich, der auf den Briefen, die er Schlag auf Schlag an die Baupolizei sendet, tiefe Kratzspuren hinterlässt. Julius Poppelauer ist der Oberstänkerer meiner Straße, der hartnäckigste, derjenige, der aus dieser langen Dynastie am meisten hervorsticht.
    Sein erstes Donnerwetter geht auf das Jahr 1930 , mitten in die Wirtschaftskrise, zurück. Der Eigentümer seines Hauses, der Nummer  2 , beschloss – vermutlich wegen der hohen Kohle-Kosten – die Zentralheizung stillzulegen und zu den Heizöfen zurückzukehren. In fast allen Gebäuden meiner Straße wurden die Heizkörper, die in sämtlichen Zimmern, in den Gemeinschaftsräumen und der Diele liefen, ausgemacht, und man installierte in der Stube, wo man sich am häufigsten aufhielt, einen individuellen Ofen. Wochenlang hüpften die beiden Bezirksschornsteinfegermeister Oswald Wabner und H. Flick wie junge Zicklein auf den Frühlingswiesen von einem Dach zum andern. Die Handwerker bauten neue Öfen ein. Es dauerte nicht lange, bis eine erste Funktionsstörung gemeldet wurde. Und da erschallte der erste Fanfarenstoß, Herr Dir. Julius Poppelauer blies für die erbosten Mieter zum Angriff: Rauchbelästigung! Lebensgefährliche Gase! Unerträgliche Gerüche! Unbrauchbare Schlafzimmer! Unerhörter Zustand!
     
    Die Reklamationen erstrecken sich durch ein ganzes Jahrhundert. Die meisten sind – im Nachhinein – herrlich grotesk: 1917 fordert der Baupolizei-Präsident den Eigentümer der Nummer  8 auf, die Ratten zu eliminieren, und rät ihm, Phosphorlatwerge auf ein Lockmittel zu streichen, «am besten Fisch (Bückling, Hering) oder gebrannten Speck, da die Latwerge auf Brot von den Ratten erfahrungsgemäß nur dann gefressen wird, wenn keinerlei andere Nahrung mehr vorhanden ist». 1929 bittet ein Mieter aus der Nummer  3 seinen Wirt, in der Waschküche elektrisches Licht anstelle des gefährlichen Petroleumlichts anzubringen. 1930

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